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Flüchtlinge lernen radeln


Autor: Ralf Ruppert

Bad Kissingen, Sonntag, 03. Juli 2016

Verkehrserzieher Matthias Kleren weist auf die wichtigsten Regeln hin. Die Schüler der Integrationsklassen haben die gespendeten Räder selbst repariert.
Verkehrserzieher Matthias Kleren (von links) erläutert den Flüchtlingen Shoaib Hamidi, Suzan Ahmad, Aman Mohammadi und Ahmad Schoaib Saqebi unter anderem das richtige Verhalten an einer Kreuzung mit Ampel.


Suzan Ahmad ist 17 und stammt aus Syrien. Weil es in ihrer Unterkunft in Bad Kissingen Fahrräder gibt, radelt sie regelmäßig durch die Stadt, vor allem zur Berufsschule, in der sie eine der fünf Integrationsklassen besucht. Von einem "Rechtsfahrgebot" hatte sie allerdings noch nie etwas gehört. "Ich bin oft falsch gefahren, da haben die Leute immer gewunken", berichtet sie.

Von Verkehrserzieher Matthias Kleren hat sie nun den Grund erfahren: "Ich muss immer rechts fahren", weiß sie jetzt. Einer der kleinen Erfolge des neuen Verkehrstrainings für Flüchtlinge. "Ich fühle mich jetzt sicherer", freut sich Suzan Ahmad.


"Mehr Autos unterwegs"

"Die Schilder sind gleich, aber hier sind mehr Autos unterwegs", nennt Shoaib Hamidi als größten Unterschied zwischen seiner alten Heimat Afghanistan und seiner neuen Heimat Deutschland. Der 18-Jährige ist ebenfalls regelmäßig in Bad Kissingen mit dem Rad unterwegs, hat das Radfahren bereits als Kind gelernt. Da hat er vielen anderen Flüchtlingen in seiner Klasse schon einiges voraus, denn: Während ein Teil der Klasse mit Kleren die Regeln praktisch trainiert, üben andere erst noch das Radfahren.
Dass vor allem so viele Mädchen noch nie auf einem Fahrrad saßen, überrascht selbst Pädagogin Irene Jonda und Klassenleiterin Brigitte Ressel. Jonda will ein Rad-Training deshalb in ihren freiwilligen Zusatz-Unterricht für weibliche Flüchtlinge einbauen. Kleren hat dazu gleich einen hilfreichen Vorschlag: "Am besten, man schraubt an einem alten Rad die Pedale ab und nutzt es als Laufrad", lautet sein Tipp zum Lernen.
Die Fahrräder für die neuen Übungsstunden haben die Flüchtlinge selbst in Schuss gebracht: Vom Klapprad bis zum Mountainbike reichten die kostenlosen Spenden. Dann wurde im Rahmen des Werk-Unterrichts geschraubt und Reifen gewechselt. Nur wenige Euro für Ersatzteile reichten Lehrer Philipp Oberhagemann, um einen kleinen Fuhrpark zusammenzustellen, auch wenn nicht alle Räder verkehrstauglich sind.
Was bei der offiziellen Verkehrsprüfung in der Grundschule gilt, sei bei den Flüchtlingskursen sowieso nicht anwendbar. "In der Grundschule gibt es drei Übungseinheiten, eine Theorie-Prüfung, die praktische Prüfung und das Fahren in der Verkehrswirklichkeit", erläutert Kleren. Das scheitere bei Flüchtlingen bereits an der Verständigung. "Man muss hier mit Händen und Füßen arbeiten", weiß Kleren aus Erfahrung.


Wunsch nach Pflicht-Kursen

Zum Teil setzt sich Kleren einfach selbst aufs Rad und macht jeden Schritt vor: Hand raus, Schulterblick, links einordnen, auf Grün warten, abbiegen. Das sind für die meisten auf Anhieb zu viele Schritte auf einmal. Etliche Regeln würden zudem selbst von einheimischen Radlern nicht beachtet: "Beim Stopp-Schild muss man anhalten, bis die Räder stehen", nennt Kleren als Beispiel.
Überrascht sind die Flüchtlinge von den Strafen, die es hierzulande selbst für Radler gibt: Fünf Euro kostet es etwa, wenn man freihändig oder mit jemandem auf dem Gepächträger unterwegs ist. Wer das Handy beim Radeln nutzt, ist 25 Euro los, und am teuersten ist das Überfahren der roten Ampel: 60 Euro und ein Punkt sind fällig.
"Es wäre sinnvoll, das verbindlich einzuführen", würde sich Kleren mehr solche Trainings wünschen, schließlich könne jeder als Radfahrer am Straßenverkehr teilnehmen. Wie viele Unfälle es genau mit Flüchtlingen gibt, ist statistisch nicht erfasst. In Nüdlingen sei ein Asylbewerber im vergangenen Jahr durch einen Fehler beim Abbiegen leicht verletzt worden, berichtet Kleren. Deshalb würde er solche Kurse öfter anbieten und habe auch Nachfragen von Helferkreisen, aber: "Außerhalb der Berufsschule gibt es halt keine Versicherung."
Stefan Seufert, der Asylkoordinator des Landkreises Bad Kissingen, berichtet von Arm- und Fingerbrüchen durch kleinere Unfälle. "Die Schüler haben sich gefreut, dass ihnen jemand die Regeln erklärt", kommentiert Klassenleiterin Ressel das neue Training.