Faszinierender Kontrast und Intimität trotz der Weite des Saals
Autor: Gerhild Ahnert
Bad Kissingen, Mittwoch, 07. Oktober 2020
Endlich fand in Bad Kissingen wieder Theater statt! Zur Eröffnung des Theaterrings gab es eines der berühmtesten Stücke der europäischen Dramengeschichte, allerdings wegen der Covid 19-Zeit unter erschwerten Bedingungen.
Endlich fand in Bad Kissingen wieder Theater statt! Und es gab zur Eröffnung des Theaterrings in der Covid 19-Zeit zudem eines der berühmtesten Stücke der europäischen Dramengeschichte, die Tragödie "Othello", vom erfolgreichsten Theaterautor aller Zeiten, William Shakespeare. Doch leider konnte wegen der Vorsichtsmaßnahmen Theater nicht in seinem Raum, dem Bad Kissinger Kurtheater, stattfinden, sondern musste in einen Konzertsaal umziehen. Einen der besten in Europa, doch einen, der von seinen Erbauern zum Musikhören perfekt konzipiert wurde und für das Projekt "Theater im Max-Littmann-Saal" eben nur bedingt geeignet ist.
Man brauchte einen großen Saal, in dem man die Abstandsregeln einhalten und die erlaubten 200 Besucher auf Abstand platzieren konnte. All das wurde sehr gut eingehalten, die Zuschauer saßen wie beim tags zuvor zu Ende gegangenen 18. Kissinger KlavierOlymp auf Lücke und weit verstreut im Parkett und auf den Balkonen. Der Abstand zur Bühne war bei den oben Sitzenden teilweise sehr groß, die Durchsetzungskraft des gesprochenen Wortes jeglichem Musikgenre weit unterlegen. Schließlich haben schon in den alten griechischen Riesentheatern Schalltrichter in den Masken dazu gedient, den Text auch für die höheren Reihen verständlich zu machen.
Das psychologisch in vielen Nuancen ausziselierte moderne Theater, dessen Protagonist William Shakespeare war, lässt solche technischen Hilfsmittel nicht wirklich zu, denn sowohl Othellos als auch Desdemonas Verzweiflung in der tragischen Zwickmühle, in die sie die von Jago in Othellos Hirn gepflanzte Eifersucht gebracht hat, lässt sich nicht mit deklamatorischen Mitteln darstellen.
Die Berliner Shakespeare Company, die sich nach erzwungener halbjähriger Spielabstinenz dennoch der Aufgabe stellte, ist dem Kissinger Theaterring-Publikum seit Jahren bekannt, spielte auch schon auf der kleinen Freilichtbühne der Oberen Saline im Rahmen des kleinen Augustfestivals "Sommerlust" mit großer Überzeugungskraft und ist von ihrer eigenen Wirkungsstätte, der Freilichtbühne im Schöneberger Naturpark, auch gewohnt an das Sprechen in nicht optimalen akustischen Räumen.
Doch die für die perfekte Streuung von Musik in einem großen Raum ausgelegte Akustik des Max-Littmann-Saals war auch für sie nicht optimal zu bewältigen. Da fehlte die konzentrierende Bündelung einer Guckkastenbühne, die den Klang optimal nach vorne zum Publikum fokussiert und so den letzten Platz verständlich erreicht. In den rundum geschlossenen Theatern der Shakespearezeit saßen die Zuschauer im Halbrund um die Bühne, konnten auch im dritten Rang den Schauspielern sehr nahe sein und so die Poesie, den Wortwitz, die feinen Tricks der Menschenführung und -verführung Jagos so hautnah miterleben, wie das in unseren vergleichsweise riesigen Theatern auch nicht mehr so möglich ist.
Auch in akustisch perfekten modernen Theatern hat so mancher seine Schwierigkeiten, Shakespeares Text in Gänze aufzunehmen und beim ersten Hören zu verstehen. Deutsche Zuschauer haben da sogar den Vorteil, dass sie den Text nicht in der 400 Jahre alten Sprache Shakespeares, sondern - und darauf legen die Berliner immer großen Wert - in einer Übersetzung in modernes, verständliches Deutsch (und ohne die gereinigten Übersetzungen der Romantiker Schlegel und Tieck, die den deutschen wohlgesitteten Bürgern ihrer Tage Shakespeares derbe, unanständige Sprache nicht zumuten zu können glaubten) präsentiert zu bekommen.
Und so schafften es die sechs Schauspieler, ihr Regisseur Nico Selbach mit seinem Team für Dramaturgie und Ausstattung und die Bühnentechniker der Truppe und in Bad Kissingen vor Ort, eine sehr plausible Version von Shakespeares Verleumdungs- und Eifersuchtsdrama auf die Bühne des Max-Littmann-Saales zu stellen. Der erste Teil des Dramas, in dem sich aus der brutalen, jederzeit gewaltbereiten Welt der Soldaten die Intrige Jagos entwickelt, fand vor dem wilden Soundtrack ohrenbetäubender Trommeln statt (Musik: Toni P. Schmitt), während die Momente des liebevollen Einverständnisses - vor allem zwischen Desdemona und ihrer Kammerfrau Emilia etwa im berühmten "Lied von der Weide" (Willow) einen immer wieder faszinierenden Kontrast schufen zur harten Männerwelt der Soldaten.
Die Rollenverteilung
Wie üblich bei der Company teilten sich drei von ihnen, Philipp-Manuel Bodner, Thilo Herrmann und Katharina Kwaschik die sieben Nebenrollen, wobei sie durchaus auch klare Charaktere herausarbeiteten, wie Bodner als zurückhaltender, maßvoller Cassio, Herrmann als unglücklich verliebter Rodrigo oder Kwaschik als mit allen Wassern gewaschene Ehefrau, aber in ihrer Zuneigung zu Desdemona liebevolle Emila und frech-forsche Hure Bianca.
Die gewichtigen Hauptrollen aber spielten diesmal durchgängig drei sehr überzeugende Protagonisten. Katja Uhlig war eine noch jugendlich leichtsinnige, aber in ihre Liebe zu Othello absolut sichere Desdemona, die ins Mark getroffen wird von dessen plötzlicher Eifersucht. Oliver Rickenbacher spielte in jeder Szene voll konzentriert den subalternen Soldaten Jago, der seinen Herrn Othello zu Fall bringen will und sich deshalb aller anderen bedient, schlau, sprachmächtig und verschlagen bis zur Brutalität und Mordbereitschaft - eines der egomanischen Scheusale Shakespeares.
Geschickter Einsatz der Technik
Michael Günthers Othello zeigte dessen Außenseitertum nicht in der Hautfarbe (schwarze Schuhcreme kam glücklicherweise nicht zum Einsatz), sondern in seiner Glatzköpfigkeit, seiner sperrigen, absolut hart wirkenden Riesengestalt, die seine Verletzlichkeit in seiner Liebe zu Desdemona und deren Liebe zu ihm überraschend erscheinen ließ, aber absolut plausibel von den beiden gespielt wurde. Und so wurde die berühmte Schlussszene, in der Othello zum widerwilligen Mörder an Desdemona aus Liebe wird, auch in dieser Aufführung zu einem emotionalen Höhepunkt, vor allem durch die Zurücknahme des Tempos und die geschickte Beleuchtung des Ehebetts, die auch auf der riesigen Bühne des Max-Littmann-Saales plötzlich Intimität und die Wucht der Gefühle deutlich werden ließ.
Der Applaus des Publikums galt der Aufführung und der Truppe, für die sich Oliver Rickenbacher bedankte für das Vertrauen der Kissinger und die Möglichkeit des Auftretens in der gerade (hoffentlich!) zu Ende gehenden Kulturbrache der Pandemie. Angesichts dieser Situation war die erste Theateraufführung im Max-Littmann-Saal doch ein sehr beeindruckendes, denkwürdiges Erlebnis.