Euerdorfer Unterkunft schließt
Autor: Ralf Ruppert
Bad Kissingen, Dienstag, 21. Februar 2017
90 Flüchtlinge haben in zweieinhalb Jahren das ehemalige Gasthaus Wolz in Euerdorf durchlaufen. Sieben von 32 dezentralen Unterkünften sind schon zu.
Achmed (10) und Tamer (13) fühlen sich richtig wohl in Euerdorf. "Wir haben unsere Freunde hier und spielen hier Fußball", erzählt Tamer begeistert. Er besucht die 6. Klasse der Mittelschule Hammelburg, sein Bruder ist in der 2. Klasse der Euerdorfer Grundschule. "Das Dorf ist schön, wir möchten gerne hier bleiben", sagt ihr Vater Fadel, der aus Syrien stammt. Im Oktober 2014 waren sie die ersten, die ins ehemalige Gasthaus Wolz einzogen. Nach der Anerkennung als Asylberechtigte kamen sie im Mai in einem alten Haus in der Ortsmitte unter. Hier fühlen sie sich wohl.
Ebenfalls aus Syrien kam vor einem Jahr die Familie Alnader nach Euerdorf: Mutter Wafaa, Vater Mohammad und die vier Kinder Belal (7), Marah (6), Shahd (3) und Alaa (fünf Monate). Täglich halten sie Verbindung in ihre zerstörte Heimat, gleichzeitig bemühen sie sich, schnell deutsch zu lernen. "Es ist alles gut hier", sagt Mohammad Alnader. Vor kurzem sind sie in die Ortsmitte von Euerdorf gezogen, seitdem wird die dezentrale Unterkunft nicht mehr benötigt, Ende des Monats läuft der Mietvertrag aus.
90 Asylsuchende untergebracht
Der Mietverhältnis begann am 28. August 2014. Bis zu 26 Menschen konnten dort gleichzeitig untergebracht werden. Durch Auszüge nach Anerkennungen, Rückführungen, freiwillige Ausreisen und Umverlegungen war die Zahl der Bewohner über die zweieinhalb Jahre deutlich größer: "Über die Vertragslaufzeit verteilt waren 90 Asylsuchende untergebracht", teilt das Landratsamt auf Nachfrage mit. "Der aktive Helferkreis vor Ort hat viel dazu beigetragen, dass das alles so reibungslos lief", zieht Asyl-Koordinator Stefan Seufert vom Landratsamt Bad Kissingen eine positive Bilanz. Auf Initiative der Gemeinde gab es in den vergangenen Jahren rund 20 Menschen, die Sprachkurse gaben, bei Anträgen halfen oder Fahrten übernahmen. Den harten und unermüdlichen Kern bildeten Gisela Bergel, Hilde Venohr, Sabine Grünberg und Waltraud Schnabel. "Es war sehr bereichernd, die Menschen kennen zu lernen", blickt Waltraud Schnabel zurück, und: "Man muss sich halt auch auf die Begegnungen einlassen."
"Es ist schade, dass die Leute nicht etwas mutiger sind, es ist wirklich eine Bereicherung", kommentiert Hilde Venohr die schwierige Kontaktaufnahme der Alt-Eingesessenen mit den Flüchtlingen. Umso mehr habe sie sich zum Beispiel gefreut, als der erste Haus-Eigentümer ein Gebäude an Asylberechtigte nach deren Anerkennung vermietete. "Man muss den Menschen einfach eine Chance geben", bittet Venohr.
Der Landkreis Bad Kissingen hatte im Auftrag der Regierung von Unterfranken 32 dezentrale Unterkünfte angemietet, sieben sind bereits geschlossen, Ende März folgt Schondra. "Weitere Schließungen dezentraler Unterkünfte sind von der erfolgreichen Wohnungsvermittlung für anerkannte Flüchtlinge abhängig", teilt das Landratsamt mit.
Warum helfen Einheimische Flüchtlingen? "Ich habe selbst drei Jahre in Japan gelebt und weiß, wie es ist, wenn man die Sprache in einem Land nicht spricht", erzählt Sabine Grünberg, die sich seit zweieinhalb Jahren in Euerdorf einsetzt (siehe Titelseite). Obwohl die gelernte Physiotherapeutin damals in einer privilegierten Situation im Ausland lebte, erinnert sie sich noch heute dankbar an die Hilfe, die sie erfahren hat. Einen Teil davon wollte die 61-Jährige nun zurückgeben.
Zudem kennt Sabine Grünberg das Thema Flucht aus der eigenen Familie: Ihre Eltern stammen aus dem Sudetenland - wie auch die Eltern von Waltraud Schnabel. "Die Menschen sind wirklich hilfsbedürftig", nennt die 70-Jährige als Ausgangspunkt ihrer Hilfsbereitschaft. Wie viele aus dem Euerdorfer Helferkreis ist die gelernte Medizinisch-technische Assistentin im Ruhestand.
Fahrten meist auf eigene Kosten
"Sonst hätten wir das nicht machen können", sind sich alle einig. Sogar die Ehemänner hätten oft bei Fahrdiensten oder Terminen mithelfen müssen: Bis nach Nürnberg brachten sie die Asylbewerber, viele Fahrten gingen nach Schweinfurt und Würzburg, fast immer auf eigene Kosten. Sogar einen Blechschaden hatte Waltraud Schnabel einmal - und blieb auf den Kosten sitzen, weil keine Ehrenamtsversicherung griff. "Die Behörden haben uns bei vielem ein Stück weit im Stich gelassen", bemängelt auch Sabine Grünberg. Zwar gab es nach und nach immer mehr Betreuungsangebote, aber: "Wenn die Probleme gerade da waren, war halt doch keiner da", sagt Waltraud Schnabel. Sehr gute Erfahrungen haben die Helfer mit der Euerdorfer Grundschule und der Zuarbeit aus der Gemeinde-Verwaltung gemacht. Enttäuscht waren die Frauen dagegen von der Bürgermeisterin, von der es nach dem Vorbereitungstreffen keine Unterstützung mehr für den Helferkreis gegeben habe.Auch bei der Suche nach Wohnungen oder Jobs verließen sich Behörden auf die persönliche Fürsprache der Helfer. "Alleinstehende junge Männer will natürlich keiner haben", berichtet Hilde Venohr von der Reaktion der Vermieter. Deshalb seien zuletzt einige Bewohner der Euerdorfer Unterkunft in andere Unterkünfte verlegt worden. Am Ende blieben zwei Familien mit insgesamt sechs Kindern in Euerdorf, viele leben allerdings noch in der Region, vor allem in Bad Kissingen. "Wir haben noch zu vielen Kontakt, unsere Arbeit geht auch noch weiter", berichtet Hilde Venohr, die eigentlich in Bad Kissingen wohnt, aber in Euerdorf tatkräftig mithalf.
Gute Zusammenarbeit
Wenig Verständnis haben die Helferinnen für Belegung und Abschiebepraxis: In Euerdorf seien am Anfang Menschen sehr unterschiedlicher Herkunft untergebracht worden. Gerade in Richtung Ost-Europa gab es deshalb auch viele Abschiebungen, zuletzt musste eine georgische Familie ausreisen, die besonders gut integriert war: "Sie haben zwei Kinder hier in Deutschland bekommen, der Mann hatte eine Arbeit", bedauert Hilde Venohr die Ausweisung und hofft, dass die Familie per Arbeitsvisum zurück kommen kann.Unterm Strich ziehen aber alle Helferinnen eine positive Bilanz: "Ich habe sehr viel gelernt", sagt etwa Sabine Grünberg. "Wir haben uns das alles erarbeitet und uns dann auch durchgesetzt", ergänzt Hilde Venohr, die etliche Probleme sogar beim Landrat direkt vorbrachte. Das wichtigste aber sei die gute Zusammenarbeit im Helferkreis gewesen: "Wir sind zum Glück immer gut miteinander zurecht gekommen", betont Hilde Venohr.
364 Bewohner leben aktuell in den sechs Gemeinschaftsunterkünften im Landkreis: 64 in Volkers, 92 in Münnerstadt, 32 in Bad Bocklet, 61 in Bad Kissingen, 66 in Hammelburg und 49 in Ebenhausen.
441 Menschen hat der Landkreis im Auftrag der Regierung von Unterfranken aktuell in 25 dezentralen Unterkünften untergebracht.