Ich habe Marc Minkowski getroffen, der mich ins Ausland brachte, mit dem ich meinen ersten Auftritt in Westeuropa hatte. Er fand in Santiago de Compostela statt mit einer Aufnahme von Bachs h-moll-Mese. Das war solch ein Erfolg für Marc Minkowski, dass er mich einlud, am Mozarteum und beim Winter-Festival in Salzburg aufzutreten. Später dann auch beim Sommer-Festival, wo ich zufällig mit Placido Domingo in Händels "Tamerlan" auf einer Bühne stand und die Asteria sang.
Wie sind Sie dann in das walisische Cardiff gekommen?
Als ich Studentin im dritten Jahr in Moskau war, wusste ich nicht, was ich tun sollte. Ich wusste, dass ich nicht für Mosconcert würde singen können, da deren Art der Ausbildung vollkommen anders war als das, was ich auf meinem eigenen Weg entdecken wollte. Da traf ich zufällig eine Freundin aus Amerika, die mir dringend empfahl, an die Cardiff International Academy zu gehen. Da sei es so ruhig, so intim. Es sei ein kleiner Ort und dort gebe es den berühmten Tenor Dennis O'Neill, der definitiv gut für mich als Lehrer sein würde. Also ging ich dorthin und es war supersupergut für mich. Und in meinem zweiten Studienjahr in Cardiff traf ich Kiri Te Kanawa. Sie bot mir an, an einem Galakonzert zur Verleihung der Classical Brit Awards in der Royal Albert Hall in London teilzunehmen. Ich sang eine Arie von Rossini. Es war ein großer Erfolg, und an demselben Abend erhielt ich mehrere Einladungen von CD-Firmen. Das legte den Grundstein zu meinem Vertrag bei DECCA.
Warum haben Sie ausgerechnet mit Barock begonnen? Es ist etwas ungewöhnlich. Wir hier in Deutschland verbinden Russland nicht mit Barockmusik.
Es war Liebe auf den ersten Blick oder den ersten Ton. Ich kann tatsächlich behaupten, mit Barockmusik begonnen zu haben.
Wie kam das? Gab es Spezialisten oder Konzerte mit Barockmusik?
Nein, aber ich hatte in der Musikschule neben der normalen Gesangslehrerin - sie unterrichtete Jugendliche über 15, und ich war erst elf - eine Lehrerin für Solfeggio (Tonkunst) und Musikliteratur. Sie war ein großer Fan der Barockmusik, die zu der Zeit in Russland erst langsam bekannt wurde. Weil sie mit ihrem Ehemann sehr viel in Europa reiste, besuchte sie Salzburg und Wien und all diese wunderbaren Orte. Sie hatte keine Noten, aber ein großartiges Gehör. Und wenn sie etwas auf einer Aufnahme hörte, zum Beispiel von Cecilia Bartoli auf ihrem Vivaldi-Album, das sie mir zum Singen geben konnte, schrieb sie es aus der Erinnerung auf. Ich kann mich sogar an eines der Stücke erinnern.
Haben Sie Cecilia Bartoli je bei einem Auftritt erlebt? In unserem holzgetäfelten Konzertsaal in Bad Kissingen begann sie immer ein wenig verhalten. Und plötzlich, wenn sie die volle Aufmerksamkeit des Publikums hatte, begann sie zu tanzen.
Ja, wie ein Rockstar. Ich weiß, wie sich das anfühlt. Wenn bei Vivaldi der Rhythmus da ist, ist es wirklich wie Rock und du musst dich bewegen. Diese Lehrerin in Moskau liebte Barockmusik so sehr, dass sie mir die Stücke zum Singen besorgte. Und sie stellte auch eine kleine Gruppe aus ihren Schülern zusammen und wählte aus den Aufnahmen, die sie hörte, passende Stücke aus, für die sie dann eine Partitur für ihr kleines Ensemble aus ihren eigenen Kindern und mir anfertigte. Meine allerersten Momente, in denen ich mich als Solistin erproben konnte, verdanke ich meiner Lehrerin für Tonkunst, ihrem guten Gehör u nd ihrem Willen, uns in einer kleinen Barockgruppe vorzustellen, die sie "Fiori musicali" nannte.
Ging das über den Status oder Rahmen der Hausmusik hinaus?
Ja, durchaus. Wir traten zum Beispiel in einem Moskauer Wettbewerb, einem Festival für Moskauer Schulen auf. All diese ersten Gelegenheiten, mich als Solistin auszuprobieren, bot man mir innerhalb meiner Schule. Ich versuchte auch, mir Vivaldis "Agitato da due venti" beizubringen. Nachdem ich Cecilia zugehört hatte, begann ich das Stück eingehend zu studieren. Ich hatte es sehr schnell drauf, musste dann aber auch schnell meinen Zugang zu den Koloraturen finden. Das war sehr mühsam. Ich hatte eine sehr wendige natürliche Stimme, doch im selben Tempo zu bleiben war sehr schwierig.
Singen Sie auch zeitgenössische Musik?
Ich singe nicht viel davon. Einmal habe ich eine Komposition des modernen englischen Komponisten John Taverner gesungen. Es war ein in einer altindischen Sprache geschriebenes geistliches Werk, sehr meditativ und schön. Das war meine einzige Erfahrung mit zeitgenössischer Musik, soweit ich mich erinnere. Aber ich denke, das ist ein großartiges Feld, das ich in der Zukunft entdecken kann, und ich werde mich ihm sicher widmen. Es gibt auf diesem Gebiet viele Kompositionen für meine spezielle Stimme, weshalb ich das tun sollte. In Zukunft möchte ich aber zunächst einmal mehr Mozart singen.
An Wagner sind Sie nicht wirklich interessiert? (Das Interview fand in Bayreuth statt.)
Ich interessiere mich für ihn als Musiker. Ich weiß sehr wenig über diese Art von Musik. Morgen habe ich einen Tag frei und werde Wagner hören. Ich werde ihn nicht singen, da ich einige Zweifel habe, dass ich die richtige Stimme für Wagner habe. Aber es ist alles möglich. Vielleicht wird sich in Zukunft meine Stimme verändern, wenn ich viel älter geworden bin und ich etwas anderes singen kann. Ich möchte meine Stimme aber nicht aufs Spiel setzen. Ich möchte sichergehen, dass ich in der Lage bin, weiter Koloratur zu singen, meine Stimme flexibel zu halten. Cecilia Bartoli ist in der Hinsicht meine Heldin. Sie ist jetzt 50, und ihre Stimme wird immer besser.
Jetzt sind Sie zum ersten Mal für Konzerte beim Kissinger Sommer. Wie haben Sie herausgefunden, wo Bad Kissingen liegt?
Ich habe es auf der Landkarte in meinem Mobiltelefon gefunden.
Kannten Sie den Namen der Stadt schon vorher?
Ich hatte tatsächlich schon wegen des Festivals davon gehört, wegen des wunderbaren Konzertsaals, der sehr geeignet ist für Barockmusik. Und da habe ich auch eine Frage: Liegt Bad Kissingen wirklich auf dem Land?
Ja, das liegt wirklich mitten auf dem Land.
Darüber freue ich mich außerordentlich. Es ist großartig, den Konzertsaal in einer Stadt und dennoch in einem Park zu haben.
Was bedeutet es für Sie, ‚Artist in Residence‘ beim ‚Kissinger Sommer‘ zu sein?
Es ist natürlich eine große Ehre und eine große Verantwortung. Und es ist eine großartige Chance, in drei völlig verschiedenen Programmen aufzutreten: in einem Konzert mit Klavier, einem mit Barockensemble und im Schlusskonzert.
Wer hat festgelegt, dass es diese Konzerte sein würden?
Ich konnte sagen, was ich gerne machen würde. ‚Artist in Residence‘ bedeutet, dass ich mich in mehreren unterschiedlichen Stilen präsentieren kann und zwar in denen, die mir am meisten liegen: Barockmusik, Mozart, und Kammermusik mit Klavier bzw. Lieder mit Klavierbegleitung. Ich freue mich immer, wenn ich zu einem Konzert mit Dmitry Sinkovsky und seiner wunderbaren Gruppe ‚La Voce Strumentale‘ eingeladen werde. Es macht uns jedes Mal großes Vergnügen, zusammen zu musizieren.
Haben Sie schon einmal mit der Kammerphilharmonie Bremen und Paavo Järvi zusammengearbeitet?
Bisher noch nie. Das wird auch für mich sehr interessant.
Wie lange werden Sie sich in Bad Kissingen aufhalten können?
Nicht sehr lange wegen meines Visums.
Gibt es eigentlich eine Rolle, die Sie unbedingt singen möchten?
Ich tue mich sehr schwer mit der Beantwortung von Fragen zu meinen Träumen für die Zukunft. Mein Traum ist, dass ich so bleibe, wie ich bin. Zunächst einmal bemühe ich mich sehr, eine anständige Person zu bleiben. Und natürlich, dass meine wichtigste Gabe, meine Stimme und meine brennende Leidenschaft für die Musik sich nicht verändern werden. Wenn ich immer auf meine Stimme achten werde, damit sie gesund bleibt und alles gut geht, dann kann ich alles erreichen, was ich gerne tue: Ich kann Mozartrollen singen, jede Rolle im barocken Repertoire, alles, was ich mir wünsche.
Aber gibt es eine Rolle, die Sie nicht oder nicht mehr singen möchten?
Ich denke, dass sich meine Stimme im Laufe der Zeit verändern wird, aber im Moment ist es klar, dass es eine sehr besondere Stimme ist: Und sie macht es ziemlich klar, was ich singen sollte und was nicht. Ich habe das Glück, dass es mir meine Stimme sehr einfach macht, darüber zu entscheiden.
Fürchten Sie, dass man Ihnen Rollen anbietet, die Sie besser nicht singen sollten?
Ja, da es sehr schwierig ist, nein zu sagen. Das ist ein großes Problem für uns Sänger, die Spezialisten auf ihrem Gebiet sind. Letztendlich sind wir doch wegen des Publikums auf der Welt, weil es Leute gibt, die sich entweder für das Programm interessieren, das du singst, oder sie lieben dich als Künstlerin. Und du musst auf ihre Ohren Rücksicht nehmen und darfst ihre Erwartungen nicht enttäuschen. Und du darfst nicht einfach Musik singen, die eigentlich ganz anders klingen sollte. Du musst darauf achten, dass sie deine Interpretation mögen.
Letzte Frage: Werden Sie im Schlusskonzert neben der Mozart-Messe auch die beiden Vokalkompositionen von Mozart und Beethoven singen?
Ja. Beide, Mozarts "Exsultate jubilate" und Beethovens Konzertarie "Ah! Perfido" sind so wunderschöne, solch außerordentlich schöne Soloarien!
Dann können wir uns auf das Schlusskonzert ja besonders freuen. Vielen Dank für das Gespräch.
Das Gespräch führte Thomas Ahnert
Übersetzung: Gerhild Ahnert Termine:Künstlergespräch
am Freitag, 28. Juni, 16 Uhr im Rossini-Saal;
Herzensstürme am Mittwoch, 3. Juli, ab 20 Uhr im Rossini-Saal;
Abschlusskonzert am Sonntag, 14. Juli, ab 19 Uhr im Max-Littmann-Saal .