Erwin Pelzing - "Der wunde Punkt"
Autor: Klaus Werner
Bad Kissingen, Sonntag, 10. Oktober 2021
Frank-Markus Barwasser stellte im Regentenbau in Bad Kissingen als Erwin Pelzig seine Analysen über die coronageprägte Gesellschaft dar.
Ein bisschen Seneca, ein wenig Verschwörungstheoretiker, etwas Stuttgart 21, ein Schuss vor-pandemischer Normalität, ein Spritzer alter und neuer Geschichte, ein paar Tropfen Psychologie, das Ganze abgeschmeckt mit Kindheitstrauma sowie Fakten und sprachgewaltig. Serviert bei einer zweistündigen Reise durch die Schizophrenie des Alltags - Reiseführer im Regentenbau war Erwin Pelzig alias Frank-Markus Barwasser. Reisebegleiter waren 500 Gäste, die aufmerksam den irrwitzigen Verknüpfungen folgten und sich am Ende mit Standing Ovations bedanken.
Tisch, Stuhl und drei Getränke standen für den Mann mit Hut und Herrentäschchen im Max-Littmann-Saal bereit. Die Show war fast ausverkauft. Das Abnehmen von Mund-Nasen-Bedeckung sei nicht gestattet, so eine Stimme aus dem Off, die trotzdem "Viel Vergnügen" wünschte und damit für die erste Erheiterung des Abends sorgte. Für Pelzig war es der "Tag X" als er vor den Bühnenvorhang trat und gestand: "Viele sind in der Covid-Zeit merkwürdig geworden - ich net."
Corona-Gewinner
Da hält er es mit den Stoikern, die die große Katastrophe erwarten und mit einer "Bardy" reagieren, wenn es nicht eingetreten ist. Auch der griechische Philosoph Seneca musste für seine pandemische Analyse herhalten, denn: "Wer heute Schlimmes erwarte, soll an morgen denken - da könnte es noch schlimmer werden." Versehen mit einem herzlichen Gruß von Karl Lauterbach.
Corona habe bei Pelzig anfangs den Eindruck geweckt: "Wir sitzen alle in einem Boot". Doch letztlich habe sich gezeigt, dass manche auch auf einer Luxusyacht sitzen und so nebenbei ihr Vermögen wachse. Oder mit Maskengeschäften à la Sauter das eigene Konto im Visier haben. Auch Andreas Scheuer sei so ein rotzfrecher Corona-Gewinner, denn keiner spreche mehr von der halben Milliarde, die dem Steuerzahler die Maut gekostet habe.
Der Höhepunkt der Autonomie
Doch nicht nur die da oben, sondern auch die Mitte der Gesellschaft bekam ihr Pandemie-Fett weg: Die allseits präsenten Verschwörungstheoretiker sind für Pelzig eine "Schwurbler"-Gruppe - ein buntes Konglomerat aus Covid-Leugnern, Aluhut-Trägern, Reichsbürgern und Waldorf-Lehrern, die sich ohne Berührungsängste zusammenfinden, die alles wissen, die durch Widerspruch bestärkt werden und die in der Zusammensetzung an seine Therapiegruppe erinnern.
Und aus dieser Mitte der Gesellschaft entstehe ein Hass, der sich in massiven Beleidigungen widerspiegele - im Netz namentlich und mit 47 Ausrufen gekennzeichnet - "der Kalaschnikow des kleinen Mannes".
Mit kleinen Schnitten ging die gesellschaftliche Kabarett-Operation immer tiefer. Wie ein Chirurg inszenierte Pelzig diesen Abend. Er entführte das aufmerksame Publikum an die "Normalität der guten alten Zeit", wenn man endlich wieder in die Fußgängerzonen einfallen kann, den Kauf von Frischkäse-Zubereitung und Luftfilter als "Höhepunkt der Autonomie" feiert und sich angesichts von 10 000 Gegenständen, die ein Mitteleuropäer durchschnittlich hat, mit dem Buch belohnt: "Wie räum ich auf? Was schmeiß ich weg?"