Einer, der die Welt mit Tönen ändert
Autor: Thomas Ahnert
Bad Kissingen, Freitag, 31. Mai 2019
Damian Scholl hat den Orpheus-Mythos für den Kissinger Sommer neu gehört. Unser Redaktionsmitglied Thomas Ahnert sprach mit ihm.
Was macht man, wenn man bei einem Festival wie dem Kissinger Sommer gerne eine Oper aufführen möchte, aber in der Kasse der Boden schon bedenklich durchschimmert? Viel kann man schon sparen, wenn man sie konzertant aufführt. Denn bei den Opern sind die Musik und der Gesang ja doch immer noch wichtiger für die Spannung und die Emotionen als ein Bühnenbild und üppige Kostüme.
Man kann aber noch weiter gehen: Man kann aus weniger mehr machen oder aus altem etwas Neues und dabei auch noch sparen. So wie in diesem Sommer bei der Aufführung der Oper "Orfeo ed Euridice" ("Orpheus und Eurydike") von Christoph Willibald Gluck am Samstag, 6. Juli, um 15 Uhr im Rossini-Saal mit der Mezzosopranistin Lena Belkina und Mitgliedern des Kammerorchesters Bad Brückenau unter der Leitung von Andrea Sanguineti. Was soll man sich darunter vorstellen, was erwartet einen da? Orpheus zähmt mit seiner Musik die wilden Tiere. Mosaik, 194 v. Chr.
Die Sache hat eine kleine Vorgeschichte. 2014 lernte Tilman Schlömp, damals nochbeim Bonner Beethovenfest, den 26-jährigen Schweinfurter Komponisten Damian Scholl kennen. Der hatte gerade begonnen, sich einen guten Namen zu machen. Er hatte während des Festivals von der Studienstiftung des Deutschen Volkes und dem Beethovenhaus ein einmonatiges Residenzstipendium der Villa Wasmuth südlich von Bonn bekommen. Man kam ins Gespräch, bekundete gegenseitiges Interesse und verlor sich wieder etwas aus den Augen, behielt sich aber im Hinterkopf.
Eine Urauffühung
Drei Jahre später fragte Scholl wieder nach, und da klappte es mit einem Auftrag des Kissinger Sommers. Er ist zweiteilig: zum einen Glucks Oper so zu kürzen und zu bearbeiten, dass man sie konzertant mit einer Sängerin und einem Instrumentalensemble aufführen kann. Und zum anderen Glucks Oper eine Antwort aus der Gegenwart zu geben: Damian Scholl wird also ein neues Werk, "Orpheus Reflections", schreiben. Das wird dann die eigentliche Uraufführung.
Natürlich hat er sich sehr gefreut, als der Auftrag kam: "Das ist eine tolle Aufgabe, der ich mich auch gewachsen sehe, die auch genau auf meine Begabungen anspielt." Und worin liegen die? "Naja, darin, Musik auch zur Rührung im weitesten Sinne einzusetzen. Musik ist für mich ein Destillat von Emotionen. Wir konzentrieren uns ganz auf den Orpheus. Und diese Psychologisierung in der Musik fortzusetzen, durch die Musik zu erreichen, das ist genau mein Ding. Ich bin Neue-Musik-Komponist, aber ich mache ja auch sehr viel Filmmusik. Da verbinden sich dann die Dinge."
Diese Konzentration bedeutet, dass die beiden anderen Figuren der Oper, Eurydike und Amor, wegfallen. Eigentlich könnte die Mezzosopranistin Lena Belkina, die den Orpheus singen wird, auch die beiden anderen Figuren übernehmen: Eurydike ist Sopran, Amor Mezzosopran. Aber sie sind absolute Randfiguren, für den Fortgang der Oper fast ohne Bedeutung, und sie haben auch nur sehr wenig zu singen. "Das ist kein großer Verlust."
Große Spannung
Für Damian Scholl sicher nicht, aber für Orpheus. Den treibt die Trauer um die gestorbene Eurydike so sehr in die Verzweiflung, dass er bereit ist, in den Hades, das Totenreich der antiken Griechen, hinabzusteigen, um sie wieder rauszuholen. Scholl: "Durch die Streichungen kann ich mich auf ein Psychogramm eines Menschen konzentrieren, der diesen Verlust erfahren hat, der jetzt gerade frisch die Liebe seines Lebens verloren hat." Das verspricht nicht nur eine große Spannung, sondern das zeigt auch, wie absolut zeitlos das Thema ist, das Gluck und sein Librettist Ranieri de Calzabigi in dieser Oper verhandeln.