Eine musikalische Sensation
Autor: Gerhild Ahnert
Bad Kissingen, Dienstag, 26. Mai 2015
Die jungen Musiker der Deutschen Streicherphilharmonie begeisterten im Regentenbau.
Es gab am Pfingstmontag eine gar nicht so kleine musikalische Sensation im Max-Littmann-Saal des Bad Kissinger Regentenbaus und die knapp über 100 Neugierigen sprangen am Ende des Konzerts der Deutschen Streicherphilharmonie auf, riefen begeistert Bravo zum Dank für den abwechslungsreichen, spannenden und vor allem wunderbar musizierten Abend mit zum Teil unbekannten, zum anderen nicht wirklich allgemein bekannten Kompositionen.
Aber zum Fremdeln hatten sie gar keine Zeit, denn Prof. Wolfgang Hentrich, seit 2013 Leiter des Bundesauswahlorchesters, stellte die fünf Kompositionen vor, mit denen er und das "Spitzenensemble der Musikschulen" in den letzten Tagen auf Tournee waren. Das anlässlich der "X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten" 1973 in Ost-Berlin aus dem zentralen Jugendorchester der Musikschulen der DDR entstandene Ensemble wurde nach der Wende 1991 vom Verband deutscher Musikschulen unter seine Fittiche genommen und wird vom Bundesfamilienministerium gefördert. Von Anfang an hatten die jungen Leute ausgezeichnete Dirigenten wie etwa Jörg-Peter Weigle, Hanns-Martin Schneidt und Michael Sanderling.
Als besonders erfolgreich hat sich das Konzept erwiesen, dem Jugendorchester das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin als Patenorchester zur Seite zu stellen. Dessen Stimmführer betreuen die einzelnen Orchestergruppen Erste Violine, Zweite Violine, Viola, Violoncello bei den Probetreffen als Dozenten und waren zum Teil auch mitgekommen nach Bad Kissingen. Diese Profis sind es auch, die die neuen Mitspieler für das Orchester aus etwa 40 jungen Streichern aus der Schülerschaft der deutschen Musikschulen auswählen.
Was Wolfgang Hentrich für den Abend zusammengestellt hatte, entführte die Zuhörer in die Musik der Spätromantiker, die in der Volksmusik Europas neue Melodien und Inspiration fanden. Die Musik des europäischen Nordens und Ostens trat damals ins Bewusstsein der Zuhörer mit derselben Faszination des Neuen wie in unserer Zeit etwa die "Weltmusik". Mit Jean Sibelius' "Andante Festivo" stellte sich die Streicherphilharmonie im Max-Littmann-Saal als ein homogenes und dennoch vielfarbiges Ensemble vor und machte mit der Präzision der Einsätze, der Klangschönheit, der Durchhörbarkeit des Spiels der einzelnen Gruppen sofort vergessen, dass es sich bei ihr um "Musikschüler" handelt. Hentrich hatte beim Tempo genau den Bereich gefunden, der zwar feierlich klingt, aber durch eine zügige Melodieführung nicht in Bräsigkeit versumpft.
Bei der Anmoderation des nächsten Stücks zeigte er, wie gut es sein kann, wenn ein Kenner sich auf das Publikum einlässt und wie ein guter Lehrer dessen eventuelle Probleme voraussieht und anspricht. Zunächst klinge das nächste Stück etwas ungewohnt, aber es habe es in sich und sei das Lieblingsstück der jungen Musiker. Die blieben den Beweis nicht schuldig und musizierten mit teilweise begeisterter Miene Wojciech Kilars 1988 komponiertes "Orawa". Dieses ist inspiriert von der Landschaft Orawa an Polens Grenze zur Ukraine und zur Slowakei und entwickelt am Schluss den mitreißenden Sog eines wilden Volkstanzes. Ähnlich wie bei Ravels "Bolero" erreicht Kilar das aber durch die minimalistisch klingende Wiederholung eines knappen Themas, woraus sich ein Spannungsbogen entfaltet, der dieses durch alle Orchesterinstrumente führt und immer reicher und komplexer und eindringlicher wird. Als sich das entlud, gab es schon die ersten Bravos bei den altersmäßig denkbar weit von den Interpreten entfernten Zuhörern.
Dieses engagierte und damit spannende Musizieren setzte sich auch fort in Max Bruchs "Serenade nach schwedischen Melodien für Streichorchester" aus dem Jahr 1906, fünf Sätzen, in denen die Lust am zusammen Musizieren und Gestalten sich ebenso deutlich zeigte wie beim Höhepunkt des Abends, Edvard Griegs "Aus Holbergs Zeit - Suite im Alten Stil", 1884 zum 200. Geburtstag des schwedischen Nationaldichters Ludvig Holberg komponiert. "Barockmusik wie sie sich ein romantischer Komponist vorstellt", nannte sie Hentrich und es war wunderbar zu beobachten, wie er die so unterschiedlichen Tänze und die als Gebet gedachte Air von seinen jungen Elitestreichern in einer Mischung aus jugendlichem Ungestüm und romantischer Suada spielen ließ. Was den Hörgewohnheiten der Jugendlichen sicherlich auch entgegenkommt und für jeden Zuhörer dieses romantische Programm eindringlicher und spannender machte, ja vielem einen richtigen Drive verlieh, war die Besetzung mit sechs Kontrabässen, die den fehlenden Percussionteil des Orchesters ersetzten.
Herausragende Bratscherin
Als Solistin des Abends hatte man eine herausragende junge Bratscherin, auch sie einst viele Male Gewinnerin bei "Jugend musiziert" und obwohl erst 27 Jahre jung, Solobratscherin des Staatsorchesters Stuttgart, Madeleine Przybyl. Sie spielte das Konzert für Bratsche und Orchester von Henri Casadesus, mit dem der Komponist ein bisschen Etikettenschwindel betrieb, indem er es angesichts der geringen Zahl von Violakonzerten als bearbeitetes Werk von Johann Christian Bach ausgab und es 1947 selbst vorstellte. Das Orchester hat hier eine absolut dienende Funktion und so konnte Przybyl souverän und mit einem sehr schönen, klaren Ton glänzen und ihre Virtuosität zeigen.
Der Jubel am Schluss wurde mit zwei Zugaben belohnt. Wolfgang Hentrich griff selbst zur Geige und leitete aus den skandinavischen Melodien über zu Vivaldis "Vier Jahreszeiten", wo er mit dem ausgezeichneten Konzertmeister der Streicherphilharmonie in einen kleinen fröhlichen Solistenwettstreit einstieg, bevor der Abend mit Jean Sibelius' "Impromptu für Streichorchester, nach den Impromptus für Klavier op. 5 Nr. 5 und 6" eher besinnlich schloss.
Jubel bei den Zuhörern, der hoffentlich Mut macht bei den Kissingern, sich doch auch einmal einzulassen auf tolle junge Musiker, auch wenn sie nicht Garrett heißen und bekannt sind aus Fernsehen und Großevents.