Druckartikel: Eine Kerze für jedes Bad Kissinger Holocaust-Opfer

Eine Kerze für jedes Bad Kissinger Holocaust-Opfer


Autor: Sigismund von Dobschütz

Bad Kissingen, Mittwoch, 26. April 2017

Eine feierliche Gedenkstunde für die Holocaust-Opfer aus Bad Kissingen fand mit jüdischen und christlichen Geistlichen im Landratsamt statt.
Pfarrer Gerd Greier und Pfarrerin Christel Mebert entzündeten Kerzen zur Erinnerung an die ermordeten Opfer des Nazi-Regimes. Foto: Sigismund von Dobschütz


Vor 75 Jahren wurden alle in Stadt und Landkreis verbliebenen jüdischen Mitbürger über Würzburg in die Lager Krasniczyn und Izbica sowie ins Ghetto Theresienstadt deportiert. Zur Erinnerung an diese vom Nazi-Regime ermordeten Opfer wurde am Dienstag unter Mitwirkung jüdischer und christlicher Geistlicher im Sitzungssaal des Landratsamtes eine feierliche Gedenkstunde abgehalten. Diese Feier war einer der Höhepunkte der diesjährigen, alle zwei Jahre vom Kulturreferat der Stadt in fachlicher Zusammenarbeit mit Gymnasiallehrer Hans-Jürgen Beck organisierten Jüdischen Kulturtage.

Am 24. April 1942 wurden auf Anordnung der Gestapo 23 jüdische Einwohner Bad Kissingens zusammen mit 21 Juden aus dem Landkreis nach Würzburg deportiert. Einen Tag später wurden alle aus Mainfranken in Würzburg gesammelten 852 Juden mit der Bahn nach Polen gefahren, wo sie drei Tage später in die Durchgangslager Krasniczyn und Izbica aufgeteilt wurden. Die Kosten der Deportation hatten die Juden selbst zahlen müssen.
"Mit ziemlicher Sicherheit", berichtete Hans-Jürgen Beck in seiner Einführung, "wurden alle Juden, die diese Deportation überlebt hatten, am 6. Juni 1942 ins Vernichtungslager Sobibor gebracht." Spätestens dort fanden die letzten der aus Bad Kissingen stammenden Juden den Tod.

Die in Bad Kissingen verbliebenen 18 jüdischen Männer und Frauen, die wegen hohen Alters im April nicht deportiert worden waren, mussten im Mai ins jüdische Altersheim in Würzburg umziehen. Von dort wurden sie am 10. und 23. September ins Ghetto Theresienstadt gebracht. "Insgesamt sind über 130 Männer, Frauen und Kinder aus Bad Kissingen Opfer der Shoa geworden", fasste Beck den in der deutschen Geschichte einmaligen Massenmord in einer Zahl zusammen.


Aller Anfänge zu erwehren

Oberbürgermeister Kay Blankenburg warnte anschließend, die vom Nazi-Regime Ermordeten nur als statistische Zahl zu sehen: "Es waren Kissinger Bürgerinnen und Bürger". Er mahnte, sich nicht nur zu erinnern, sondern aus Fehlern zu lernen und sich auch in Zukunft aller Anfänge zu erwehren. Demokratie sei kein Zustand, sondern ein fortdauernder Prozess. "Für Antisemitismus und Fremdenhass ist kein Platz in unserer demokratischen Gesellschaft." Rabbiner Jakov Ebert aus Würzburg warnte vor erneuter Zunahme des Antisemitismus in Deutschland. "Hier müssen Menschen heute wieder Angst haben. Das kann ich nicht als demokratisches Land bezeichnen."

Es sei deshalb die Aufgabe aller Erwachsenen, ihre Kinder immer wieder über die Vergangenheit aufzuklären und an die Nazi-Zeit mit ihren Opfern zu erinnern. Im Hinblick auf die punktuell in Deutschland auftretende und unterschwellig spürbare Fremdenfeindlichkeit bezog Ebert alle Verfolgten und Drangsalierten in seine Gedanken ein: "Es sind nicht nur Juden in Deutschland umgekommen."

In einem gemeinsamen Bußakt gedachten der katholische Pfarrer Gerd Greier und die evangelische Pfarrerin Christel Mebert der Kissinger Opfer vor 75 Jahren und aller anderen von den Nazis Ermordeten. Für jeden namentlich genannten entzündeten sie jeweils eine Kerze und weitere Kerzen "für die vielen, deren Namen uns nicht bekannt sind, aber Gott bekannt sind". In Fürbitten baten die Geistlichen um Vergebung für die Schuldigen, erinnerten aber auch der allzu wenigen Kissinger, die "den Mut hatten, den Verfolgten zu helfen."

Zwischen den Lesungen und Gedenkworten trug die Sopranistin Radka Loudová-Remmler, am Klavier begleitet von Ehemann Fridolin Remmler, Lieder jüdischer Komponisten vor, die diese im Ghetto Theresienstadt geschrieben hatten.