Eine Art Wundertüte
Autor: Thomas Ahnert
Bad Kissingen, Freitag, 15. Juli 2022
Der französische Pianist Pierre-Laurent Aimard sprang für den erkrankten Sir András Schiff ein. Warum seine Verknüpfung von Werken zweier Komponisten nicht immer gelungen ist.
Natürlich war es außerordentlich schade, dass Sir András Schiff wegen einer Erkrankung sein Kissinger-Sommer-Recital absagen musste (er will es aber unbedingt nachholen). "Carte blanche" sollte sein Konzert heißen. Das bedeutete: Das Programm kannte vorher nur er. Das Publikum hätte sich überraschen lassen müssen. Und der hätte seine eigene Auswahl nicht nur gespielt, sondern auch moderiert und damit begründet. Das macht er gerne. Es hätte ein musikalisch spannender und vergnüglicher Abend werden können.
So eine Art Wundertüte wurde der Abend trotzdem. Der französische Pianist Pierre-Laurent Aimard, kaum weniger international bekannt als Sir András Schiff, hatte seinen Urlaub unterbrochen, um das Konzert im Max-Littmann-Saal zu retten. Aimard ist ja dafür berühmt-berüchtigt, dass er gerne Werke von verschiedenen Komponisten verknüpft. In diesem Fall waren es Franz Schubert und György Kurtág, zwei Komponisten aus zwei Jahrhunderten, was interessante Perspektiven versprach.
Ein bisschen unfair
Allerdings konnte die Dimension verschrecken. Denn Aimard hängte 43 (!) Schubert-Walzer und Ländler und 14 Kurtág-Miniaturen in wechselnder Reihenfolge aneinander. Das war Kurtág gegenüber ein bisschen unfair, denn das hieß, Äpfel mit Birnen zu vergleichen.
Denn Kurtágs kleine Sätze sind personalisiert, wenden sich in aller Regel an bestimmte Leute aus seiner Umgebung, denen er auf diese Weise mit seiner Musik etwas mitteilen wollte und die deshalb eine starke Gestaltung erfordern. Schuberts Walzer sind - vielleicht überspitzt ausgedrückt - Schnipsel aus Gelegenheitsproduktionen, zur Unterhaltung der Freunde und um ein paar Taler zu verdienen. Es sind Sätze, die in zwei oder drei Systemnotenzeilen passen, flüchtige und austauschbare Aphorismen, die keiner vergrübelten Interpretation, sondern nur einer ausgeprägten, aber standardisierten Tempogestaltung bedürfen.
Wenn Pierre-Laurent Aimard zeigen wollte, dass es doch gewisse Gemeinsamkeiten gibt, dann ist ihm das gelungen. Denn durch eine geschickte Auswahl der Schubert-Sätze konnte er "verschleiernde Übergänge" schaffen, etwa in einer harmonischen Übereinstimmung. Und wenn er dann Schubert wie Kurtág spielte und Kurtág wie Schubert, dann konnte er einige Verblüffungen auslösen. Aber eine etwaige Beeinflussung des einen durch den anderen ließ sich so nicht zeigen. Und dieses Pasticcio-System funktioniert auch mit allen anderen zumindest europäischen Komponisten.
Eines dieser "Funzelkonzerte"
Eine gewisse Zeit lang war das ja nicht unspannend, weil man schon manchmal genau hinhören musste, wo die Übergänge waren. Aber hätten es wirklich 57 Sätzchen seien müssen. Bei Kurtág hätte Aimard nicht sparen dürfen, den da spielte er ausgesprochen expressiv und schaffte auch mit wenigen Tönen Spannung. Aber nach einer Viertelstunde kam vom Methodischen her nichts Neues. Aber Schluss war erst nach einer Dreiviertelstunde mit Kurtágs wunderbar verklingendem "Spiel mit dem Unendlichen".
Dazu kam allerdings, dass es mal wieder eines dieser "Funzelkonzerte" war. Das Licht war so stark gedimmt, dass man in seinem Programm nichts mehr erkennen konnte. Das ist eigentlich ein "No-Go" bei 57 Einzelteilen. Wer sich nur berieseln lassen wollte, was ja legitim ist, war bestens bedient. Wer sich auch inhaltlich darauf einlassen wollte - genauso legitim - schaute in die Röhre.