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Ein Leben an der Seite Paul Spiegels


Autor: Thomas Mäuser

Bad Kissingen, Mittwoch, 27. Mai 2015

Gisèle Spiegel, die Witwe des ehemaligen Präsidenten des Zentralrates der Juden in Deutschland, sprach während ihres Aufenthalts in Bad Kissingen mit unserer Zeitung.
Gisèle Spiegel im Garten des Kurheims Eden-Park im Gespräch mit Abraham Lehrer, der Paul Spiegel als Vorsitzender der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland nachfolgte. Foto: Thomas Mäuser


"Warum verstehen so viele Menschen nicht, dass jüdisch sein nur eine Religion und keine Nationalität ist." Eine Frage, die sich Gisèle Spiegel immer wieder stellt. Eine Frage, die auch ihren 2006 gestorbenen Mann Paul Spiegel bewegt hat. Jenen Paul Spiegel, der von 2000 bis zu seinem Tod im April 2006 als Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland wirkte.

"Wir sind Menschen wie jeder andere, wir sind reich wie jeder andere, wir sind arm, wie jeder andere", sagt Gisèle Spiegel und findet es schlimm, dass so etwas immer noch gesagt werden muss. 1944 in Lyon geboren, beschreibt sie sich selbst als Französin jüdischen Glaubens.


Urlaub im Eden-Park

Ihren späteren Mann hat sie in Düsseldorf kennen gelernt. Sie war gerade 18 Jahre alt, Paul Spiegel war 26 und Volontär bei der "Jüdischen Allgemeinen Wochenzeitung". Zwei Jahre später haben sie geheiratet, bekamen zwei Töchter, und Gisèle Spiegel gab ihren Beruf als Auslandskorrespondentin auf, um Mutter und Ehefrau zu sein. "Das war mir sehr wichtig", sagt sie im Gespräch im Bad Kissinger Kurhaus Eden-Park.

Gisèle Spiegel war nicht zum 1. Mal in der Kurstadt. Auch mit ihrem Mann hat sie Bad Kissingen - wenn auch nur kurz - besucht. Zu den vielen Ämtern, die der Journalist Paul Spiegel inne hatte gehörte der Vorsitz in der ZWST, der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland, die den Eden-Park betreibt.

Paul Spiegel hat sich stets für Judentum und Versöhnung eingesetzt. Erst im Vorstand der Düsseldorfer Gemeinde, später als Gemeinderatsvorsitzender. Als der damalige Präsident des Zentralrats der Juden in Deuschland, Ignaz Bubis, starb, wurde dessen Vize Paul Spiegel gebeten, das Amt zu übernehmen. "Es war keine leichte Entscheidung, besonders nicht für die Familie", sagt Gisèle Spiegel. Am Anfang war es gewöhnungsbedürftig, auch der Sicherheitsleute wegen, die die Familie nie aus den Augen verloren. "Selbst wenn die Sicherheitsleute sehr dezent waren, alleine waren wir nur noch zuhause."


Der Brückenbauer

Paul Spiegel hat während seines Lebens viele internationale Auszeichnungen erhalten, darunter das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse. "Er wollte aufklären, viel diskutieren, man hat ihn den Brückenbauer genannt", sagt seine Witwe. Aber er war manchmal sehr bedrückt, wenn er glaubte, dass es nicht vorwärts geht, dass Juden nicht in der Normalität leben können. Am schönsten wäre es für Paul Spiegel gewesen, einmal ohne Polizei und Sicherheitsdienste leben zu können.

Gisèle Spiegel hat ihren Mann begleitet, wann immer es ihr möglich war. Und er hat das sehr geschätzt. Doch nicht selten hatte sie Bedenken wegen der Sicherheit ihres Mannes. Zum Beispiel bei politischen Vorträgen, da habe es auch unangenehme Situationen gegeben. Aber seine Reden waren stets pointiert, nie langweilig.
Auch wenn Gisèle Spiegel im jüdischen Gemeinderat in Düsseldorf mitarbeitet, 20 Jahre lang in der WIZO, der Wohlfahrtsorganisation "Womens International Zionist Organisation", aktiv war, über Themen wie Politik und Rassismus spricht sie nicht gerne. Das sei anderen vorbehalten.


Kinder sind keine Antisemiten

Doch es ist ihr wichtig, dass der Holocaust in den Schulen thematisiert wird, dass Zeitzeugen und deren Kinder Vorträge halten. "Man muss darüber sprechen", sagt sie und zitiert ihren Mann: "Kinder werden nicht als Antisemiten geboren." Wenn er Vorträge in Schulen gehalten hat, hätten die jungen Menschen erst richtig verstanden, was damals passiert ist. Außerdem würde sie es befürworten, wenn jede Schulklasse einmal nach Dachau oder Ausschwitz fahren würde.

Ihr Mann ist im Geiste stets dabei, wo immer sich Gisèle Spiegel auch aufhält. Auch in Bad Kissingen. "Er war etwas ganz Besonderes", sagt sie, "und ein sehr humorvoller Mensch, der bekannt für seine Witze war." Nach seiner Zeit als Präsident des Zentralrats habe er vorgehabt, ein Buch über jüdische Witze zu schreiben.


"Jetzt mal Tacheles"

Dazu kam es nicht mehr. Doch die Töchter von Paul und Gisèle Spiegel, Dina und Leonie, haben die Idee aufgegriffen. Zahlreiche Witze fanden sie im Notizbuch ihres Vaters oder sie hörten sie von Freunden. "Jetzt mal Tacheles - Die jüdischen Witze von Paul Spiegel" heißt das 2009 erschienene Buch. Aber Paul Spiegel war auch selbst literarisch aktiv. Mit dem Buch "Was ist koscher? Jüdischer Glaube - jüdisches Leben" wollte er den Lesern genau dieses jüdische Leben näher bringen.

Gisèle Spiegel lebt nach wie vor in Düsseldorf. In einer jüdischen Gemeinde, die nach der Zuwanderung aus Osteuropa knapp 7000 Mitgliedern zählt. Sie engagiert sich ehrenamtlich in einem Pflege- und Seniorenheim , "eine Arbeit, die mich erfüllt", wie sie sagt.

Natürlich hat Gisèle Spiegel auch viele Freunde und Bekannte christlichen Glaubens. "Es kommen viele Christen zu uns", sagt sie, und denen imponiere vor allem die Herzlichkeit der jüdischen Gemeinschaft.
Übrigens: Bad Kissingen hat Gisèle Spiegel sehr gut gefallen. Diesmal hatte sie endlich Zeit, zusammen mit einer Gruppe von Freundinnen die Stadt zu besichtigen, die Kuranlagen und die Umgebung: "Wir fühlen uns hier sehr wohl", sagt sie.


Begeistert von Bad Kissingen

Besonders gut gefallen hat ihr unter anderem der Besuch des Kurkonzerts, die "unglaubliche Architektur der Wandelhalle", und am Spezialitätenmarkt in der Fußgängerzone hätte sie sich am liebsten mit frischem Obst und Gemüse eingedeckt. Außerdem schätzt sie das Programm, das den Gästen im jüdischen Kurhaus Eden-Park geboten wird. "Ich bis begeistert von diesem Städtchen", sagt sie, "ich werde wiederkommen und bringe bestimmt noch ein paar Leute mit."



Paul Spiegel, ein Kämpfer für Versöhnung und ein weltoffenes Deutschland



Lebensdaten Paul Spiegel wurde am 31. Dezember 1937 in Warendorf im Münsterland geboren. Gestorben ist er am 30. April 2006 in Düsseldorf. Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten emigrierte die Familie Spiegel nach Brüssel. Paul Spiegel überlebte den Holocaust in Flandern, wo er von einer Bauernfamilie versteckt wurde. Zuvor war seine Schwester während einer Razzia in Brüssel aufgegriffen worden und kam in einem Konzentrationslager ums Leben. Sein Vater Hugo Spiegel überlebte die KZ Buchenwald, Ausschwitz und Dachau. 1945 kehrte die Familie nach Warendorf zurück.

Beruf 1958 begann Paul Spiegel ein Volontariat bei der "Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung", in den 1960er Jahren arbeitete er für zahlreiche große Zeitungen im In- und im Ausland. Auch in der Öffentlichkeitsarbeit und als Chefredakteur einer Modezeitung war Paul Spiegel aktiv.

Ehrenämter Seit 1967 war Paul Spiegel Mitglied des Gemeinderates der Israelitischen Kultusgemeinde Düsseldorf, 1978 wurde er Vorstandsmitglied, von 1948 bis 2002 war er Vorsitzender. 1989 wurde Spiegel Mitglied des Direktoriums des Zentralrates der Juden in Deutschland, dessen Präsident er 2000 wurde und es bis zu seinem Tod im Jahre 2006 blieb. Von 1989 bis 2000 hatte er auch den Vorsitz der Zentrawohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland inne. In seine Amtszeit als Zentralratspräsident fiel unter anderem der erste Staatsvertrag zwischen Zentralrat und Bundesregierung. 1999 und 2004 gehörte Paul Spiegel der Bundesversammlung an, die den Bundespräsidenten wählt. Außerdem war er Mitbegründer des Vereins "Gesicht zeigen. Für ein weltoffenes Deutschland".
Auszeichnungen Paul Spiegel wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse, dem Verdienstorden und dem Staatspreis des Landes Nordrhein-Westfalen sowie der Ehrendoktorwürde der Universität Düsseldorf. Außerdem ist er Offizier der französischen Ehrenlegion.