Ein Hauch von groß er Oper
Autor: Gerhild Ahnert
Bad Kissingen, Montag, 02. Februar 2015
Die Oper Prag hat mit Verdis "Macht des Schicksals" das Publikum überzeugt. Die zentralen Rollen waren gut bis sehr gut besetzt.
Wenn man"s genau nimmt, müsste Giuseppe Verdis Oper "Die Macht des Schicksals" doch eigentlich "Die Macht des Hasses" heißen oder "Die Macht eines Ehrenkodex, hinter dem sich Hass versteckt". Und dann wird dieses Werk mit seinen unendlich eingängigen Melodien und bei Operngalas beliebten Arien, das wegen seiner angeblich kruden Handlung nicht so wirklich beliebt ist bei den Operngängern, plötzlich aktuell, führt uns vor Augen, dass die uns heutzutage so
unverständlich erscheinenden Ehrenmorde mancher Religionsgemeinschaften auch im christlichen Kontext des 19. Jahrhunderts als möglich angesehen wurden.
Der von den Inkas abstammende Don Alvaro wird von der edelblütigen spanischen Familie seiner Geliebten Leonore abgelehnt, will mit dieser fliehen. Ein Schuss löst sich aus seiner Pistole, als Leonoras Vater die beiden überrascht, die beiden Liebenden fliehen und sehen sich erst am Ende der Handlung wieder. Und da erklärt Alvaro Leonoras Bruder Don Carlo, der den beiden sein Leben lang auf einem Rachefeldzug für die Familienehre gefolgt ist, dass er die Schwester nicht angerührt hat und der Schuss auf den Vater aus Versehen losging. Und obwohl Alvaro und Leonora in einem Kloster Buße tun, setzt er wie ferngesteuert von seiner Racheobsession alles daran, den absolut friedfertigen Alvaro, der ihm auf einem Schlachtfeld unerkannt zum Retter und Freund geworden war, zum Duell zu reizen. Er richtet ihn wie auch die Schwester hin, weil er glaubt, Schicksal spielen zu müssen. Francesco Maria Piaves Libretto gilt als schwer vermittelbar, nicht nur wegen der großen Düsterkeit dieses Schlusses.
Und so ist es das große Verdienst von Regisseur Tomáš Pila, dass er für die Tschechische Oper Prag/Oper Liberec daraus eine absolut klare und durchdachte Handlung gestaltet hat, die auch deutlich zeigt, wo es Möglichkeiten des Einlenkens gegeben hätte. Aleš Valášek, der für ein modernes, überaus ansprechendes und aussagekräftiges Bühnenbild und Kostüme jenseits des Fin-de-siecle-Kitsches gesorgt hatte, nahm alle Gelegenheiten wahr, in den Volksszenen den Chor so quicklebendig und bunt darzustellen, dass hier ein Gegengewicht zur düsteren Dreiecks-Liebes-und-Rachegeschichte geschaffen wurde. Lichtdesigner Daniel Tesa nahm die Düsternis bis auf kurze lichte Momente wörtlich; manchmal hätte man gerne doch ein wenig mehr von den äußerst eindrucksvollen Tableaus gesehen. Sehr gut funktionierte die Übertitelung, auch sie keine Selbstverständlichkeit im kleinen Kurtheater.
Überzeugende Bühnengestaltung
Es ist sehr, sehr selten, dass man im Kurtheater das Gefühl von großer Oper vermittelt bekommt. Die Tschechen schafften das mit ihrer überzeugenden optischen Bühnengestaltung, aber auch in erstaunlichem Maße aufgrund ihrer musikalischen Qualitäten. Der für eine Reisebühne große Chor war von seinem Leiter Martin Vesely sehr gut musikalisch vorbereitet worden, stimmlich ständig und akkurat präsent. Und er war vom Regisseur als eindrucksvolle, jeweils individuell agierende Gruppe von Menschen choreographiert worden, die, wie zum Beispiel in den Kriegsszenen oder in allen Wirtshaus- und Jahrmarktsszenen, sehr viel dazu beitrug, dass diese "Macht des Schicksals" absolut packend präsentiert wurde.
Streicher schlugen sich tapfer
Die Ouvertüre nahm Dirigent Martin Doubravsky vorsichtig, arbeitete jedoch deren kontrastreiche Dynamik und die Vorstellung der vielen Ohrwürmer der Oper in ihr deutlich heraus. Die wenigen Streicher schlugen sich tapfer, Harfe und Holz überzeugten etwas mehr als das Cello, das Blech schwelgte in böhmischer Durchsetzungskraft und Spiellust. Diese Sänger überzeugten durchweg, alle zentralen Parts waren gut bis sehr gut besetzt. Pavel Vancura zeigte als Leonoras Vater Marchese von Calatrava und Pater Prior Guardino einen sehr schönen, runden, klar geführten, wendigen Bass. Die beiden Kontrahenten Don Carlo und Don Alvaro waren in guten Händen. Jiri Kubíks weicher Bariton ließ ihn auch die Höhen im Part des Carlo sehr gut meistern; Rafael Alvarez Tenor zeigte schon am Anfang in der Mittellage, dass er recht erkältet war, doch stemmte er mit großem Einsatz seinen Part. Véra Poláchová sang ihren Sopranpart bravourös und schöpfte dessen dynamische Möglichkeiten voll aus. Darstellerisch und stimmlich zeigte Alžbeta Vomácková mit ihrem strahlenden Mezzo, welch eindrucksvolle Gestalt man aus der Nebenrolle der Wahrsagerin Preziosilla machen kann. Da auch alle anderen Ensemblemitglieder das Publikum begeisterten, gab es Applaus nach den großen Arien, zaghafte Bravos für die Protagonisten und rhythmisches Klatschen zu immer neuen Aufzügen für die Tschechische Oper Prag im Rahmen des 30. Theaterrings.