Die Verweigerung des Ohrwurms
Autor: Thomas Ahnert
Bad Kissingen, Dienstag, 27. Juni 2017
Mit ihrer Interpretation des Violinkonzerts von Jean Sibelius löste Patricia Kopatchinskaja Begeisterung und auch Verwunderung aus.
Natürlich ist nicht immer alles gut oder böse, richtig oder falsch. Auch in der Musik. Und damit sind wir schon mitten im Spiel der Geigerin und artist in residence Patricia Kopatchinskaja. Denn mit ihrer Interpretation des Violinkonzerts von Jean Sibelius mit dem BBC Symphony Orchestra hatte sie natürlich Begeisterung, aber auch einige Verwunderung ausgelöst. Mit ihrem abrupten, überexpressiven, gespenstischen, durchaus manirierten Spiel scherte sie zwar aus der Reihe der traditionellen Interpretationen aus, aber sie verweigerte sich auch den Melodien - mit einem Effekt: Der Zuhörer bekommt keine Ohrwürmer mehr, höchstens in pulverisierter Form. Die für ihn wichtige Wiedererkennung und emotionale Bindung sind in Gefahr - zwei Aspekte, die nicht ganz unwesentlich sind. Und Patricia Kopatchinskaja muss aufpassen, dass durch das, was sie Spontaneität nennt, die Stücke eines Tages ihre Individualität verlieren. Und ihre Überraschung. Aber natürlich gibt es das große. Aber: Anton Webern muss seine Vier Stücke für Violine und Klavier op. 7 für Patricia Kopatchinskaja komponiert haben. Denn ihm geht es da auch nicht um melodische Verläufe, sondern darum, auf aphoristisch kleinstem Raume mit allerlei geigerischen Höchstschwierigkeiten die klanglichen und technischen Möglichkeiten der Violine bis an die Grenzen auszureizen.Das war nicht nur interessant, sondern auch spannend, was Patricia Kopatchinskaja da aus den Saiten zauberte. Zumal Polina Leschenko, ihre Partnerin am Klavier, genau die passenden Antworten fand und die Violine raffiniert spiegelte.
Zu Robert Schumanns 2. Violinsonate op. 121 passte das Spielverfahren allerdings überhaupt nicht. Denn Schumann setzte auch in seiner Kammermusik nicht auf punktuelle Effekte, sondern auf Melodien, die sich durch das gesamte Werk ziehen und es konstituieren. Da sollte man sie auch erkennen. Polina Leschenko hätte es möglicherweise auch gerne etwas anders gehabt. Sie verweigerte sich der Exaltiertheit und spielte Schumann mit deutlichen Farben - ein unerwarteter Kontrast.
Die beiden anderen Werke rückten wieder näher an Patricia Kopatchinskaja heran: Béla Bartóks Violinsonate Nr. 2, die mit ihren Abruptheiten und Härten ein kleinteiliges Spiel anbietet. Aber man kann in letzter Zeit auch den Trend beobachten, Bartók als Melodiker nachzuspüren.
Bei Maurice Ravels toll gespielter "Tzigane" kann die Violine ohnehin machen, was sie will; das Klavier setzt erst sehr spät mit einer eigentlich verzichtbaren Begleitung ein.
Als Zugabe spielten die beiden Musikerinnen mit viel inszenatorischem Humor Gija Kanchelis "rag-Gidon-time".