Die Taktik ging nicht auf
Autor: Sigismund von Dobschütz
Bad Kissingen, Sonntag, 19. Dezember 2021
Warum eine 39-jährige wegen Drogenhandels ins Gefängnis muss und keine Bewährungsstrafe erhielt.
Wegen fünfmaligen vorsätzlichen Handels mit Betäubungsmitteln in nicht geringen Mengen wurde eine 39-Jährige vom Bad Kissinger Schöffengericht jetzt zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten ohne Bewährung sowie zum Wertersatz von 1 750 Euro verurteilt. Damit lag das Gericht weit unter dem Antrag des Staatsanwalts. Der Verteidiger hatte allerdings auf Freispruch plädiert und will nun in Berufung gehen.
Vor Gericht verweigerte die 39-jährige Angeklagte jegliche Aussage zu den Vorwürfen der Anklage sowie zur eigenen Person, wobei im weiteren Verlauf erkennbar wurde, dass dies weniger ihre eigene Entscheidung, sondern vielmehr die Taktik ihres Verteidigers war. Denn gleich zu Beginn der vierstündigen Verhandlung zweifelte dieser die Glaubwürdigkeit der geladenen Zeugen an, die bereits in anderen Prozessen ausgesagt oder geschwiegen hatten. Einer war selbst schon verurteilt worden, gegen den anderen laufen die Ermittlungen. Der Vorsitzende Richter gab ihm zu bedenken: "Bei den Mengen Amphetaminen, um die es hier geht, sollte sich die Angeklagte Pluspunkte verdienen. Denn eine Bewährungsstrafe setzt eine günstige Sozialprognose voraus." Doch auch nach kurzer Beratungspause blieben Angeklagte und Verteidiger bei ihrer ersten Entscheidung. Auch vom Staatsanwalt ließen sie sich nicht davon abbringen. Er verwies noch einmal darauf, dass "eine Einlassung vor Aussage von Zeugen besser ist als danach".
Aufgrund der fehlenden Aussage waren Staatsanwalt und Gericht allein auf Aktenlage und Zeugenaussagen angewiesen. Daraus ergab sich folgender Tathergang: Im Juni 2020 war der Lebensgefährte der Angeklagten wegen Drogenhandels festgenommen worden. Damals hatte er bei seinem Lieferanten noch Schulden in Höhe von 20 000 Euro. Ein Bekannter des Paares stieg als "Geschäftsnachfolger" des Inhaftierten ins Drogengeschäft ein und übernahm bis zur eigenen Verhaftung im September auch diese Verbindlichkeiten.
Auf Druck des Lieferanten die Schulden schneller auszugleichen, wie den Telefonprotokollen zu entnehmen war, wurde im August die jetzt angeklagte Freundin des Inhaftierten eingespannt. Sie erhielt "von mir die Hälfte einer Kilo-Lieferung Amphetamine zum Einkaufspreis von 3,50 Euro pro Gramm", wie der in Handschellen als Zeuge vorgeführte "Geschäftsnachfolger" vor Gericht aussagte - in unterschiedlichen Teilmengen, "in keinem Fall auf einmal". Wie viele Teillieferungen es waren und wie hoch die jeweiligen Mengen, konnte der Zeuge nicht sagen: "Ich habe nicht Buch geführt; tut mir leid." Die ihr überlassenen Amphetamine sollte die Angeklagte gewinnbringend verkaufen, was ihr auch gelang. "Sie hat mir Bargeld gegeben."
Als Kunde fiel der Name einer Kontaktperson aus der Telefonliste ihres Lebenspartners, gegen den noch ein Ermittlungsverfahren läuft, nachdem man bei einer Hausdurchsuchung Amphetamin-Spuren gefunden hatte. Dieser "Kunde" gab sich vor Gericht völlig unwissend und unschuldig. Er habe nichts mit Rauschgift zu tun: "Ist mir nichts bekannt."
Anwalt forderte Freispruch
Dem widersprach allerdings der ermittelnde Kriminalbeamte, denn dieser Zeuge sei einschlägig vorbelastet. Dagegen seien aber die Angaben des inzwischen rechtskräftig verurteilten "Geschäftsnachfolgers" glaubwürdig. Erst im Rahmen seines Verhörs sei der Name der heute Angeklagten und ihres Kunden gefallen, sagte der Beamte als Zeuge aus, weshalb die Ermittlungen gegen sie aufgenommen worden seien.
Nach Abschluss der Beweisaufnahme musste das Schöffengericht davon ausgehen, dass mindestens 500 Gramm Amphetamine in fünf Teillieferungen zu jeweils mindestens 100 Gramm mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens zehn Prozent an die Angeklagte abgegeben wurden, womit der Grenzwert für eine Verurteilung beim Handel mit Amphetaminen erreicht ist. Entsprechend sah der Staatsanwalt seine Anklage zwar mit Abstrichen, doch im Wesentlichen bestätigt. Deshalb sei die Angeklagte des gewerbsmäßigen Handels mit Amphetaminen in fünf Fällen schuldig und zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten zu verurteilen. Der Verteidiger blieb bei seiner Taktik und forderte einen Freispruch. Ein konkreter Sachverhalt habe nicht nachgewiesen werden können. Alle Vorwürfe basierten auf "schwammigen und unglaubwürdigen Aussagen". Von gewerbsmäßiger Geldeinnahme sei nirgends die Rede gewesen. "Wenn keine konkrete Tat nachgewiesen werden kann, muss das Urteil im Zweifel für die Angeklagte ausfallen."