Druckartikel: Die Tänzer verschwinden

Die Tänzer verschwinden


Autor: Benedikt Borst

Bad Kissingen, Montag, 03. November 2014

Helmut Eß betreibt seit 25 Jahren das Tanzcafé Schönblick in der Schönbornstraße. Jahrelang war es eine echte Goldgrube, in der viele Urlauber die Nächte durchfeierten. Dann kam das Schicksalsjahr 1999. Heute kämpft eines der letzten alten Tanzlokale der Stadt ums Überleben.
Die goldenen Zeiten der klassischen Tanzcafes in Bad Kissingen sind vorbei. Fotos: Borst


von unserem Redaktionsmitglied 
Benedikt Borst

Bad Kissingen — Helmut Eß kämpft gegen die Zeit. Das Inventar im Tanzcafé Schönblick vermittelt sogar den Eindruck, als sei sie vor langer Zeit stehen geblieben. Die alten Teppiche auf dem Boden liegen dort vermutlich seit Jahrzehnten. Deckenleuchter, Wandgemälde und Uhren hängen wahrscheinlich ebenso lange an ihren Plätzen.

An dem Tresen aus dunklem Holz hat Eß schon vor 25 Jahren Sekt, Wein und Bier an seine Gäste ausgeschenkt. Der 77-Jährige erinnert sich gern an die Zeit, als Gäste noch nächtelang in Tanzlokalen in Bad Kissingen gefeiert haben. "Ungefähr 15 Jahre lang hatte ich sieben Tage in der Woche geöffnet", sagt er. Jeden Abend spielte eine andere Kapelle im randvollen Schönblick zum Tanz.

182 Gäste bei der Eröffnung

Im Frühjahr 1989 wurde der hessische Unternehmer durch einen Tipp aus dem Bekanntenkreis auf den Kurort an der Saale aufmerksam. In Bad Kissingen sei eine echte Goldgrube zu verkaufen: das Schweizerhaus. Danach half der Zufall. Eß schaute sich vor Ort um und erfuhr, dass die Besitzer des Tanzcafé Schönblicks das Lokal abstoßen wollten. "Das war damals als Puff verrufen, das hat mich interessiert", erzählt er. Neugierig geworden beschloss er, sich das einmal anzusehen. "Wir haben die Türe bald nicht aufgebracht, so voll war es."
Der erste Eindruck passte. Eß stellte sich bei der Besitzerin als Kaufinteressent vor und übernahm ein halbes Jahr später das Tanzcafé. "Es ging ganz schnell. Am 1. Oktober haben wir eröffnet." 182 Gäste kamen an diesem Tag.
Von solchen Zahlen kann Helmut Eß heute nur mehr träumen. Mittlerweile öffnet er nur noch samstagabends und sonntagnachmittags für gerade 30 bis 50 Gäste. Aus seiner Goldgrube ist 25 Jahre später ein Draufzahlgeschäft geworden. Gute Tage, an denen er mit dem Lokal Geld verdient, gibt es kaum. "Es geht mir nicht ums Geld, darauf bin ich nicht angewiesen", erklärt der ehemals erfolgreiche Unternehmer. Er genieße es einfach, sich mit den Gästen - die meisten kennt er seit langem - zu unterhalten und unter Menschen zu sein.
Nach und nach wurden Roxy, Schweizer Haus, Alt Berlin und wie sie sonst alle hießen, geschlossen. Helmut Eß jedoch versucht, sich dem Niedergang der Tanzlokale in der Stadt zu verweigern. "Ich schließe weiter auf, weil ich am Schönblick hänge", sagt er und klingt dabei etwas dickköpfig. Er werde das so lange beibehalten, wie es ihm gesundheitlich möglich ist. Im Eß'schen Wortschatz: "Bis es mich wie ein Gewitter von oben trifft!"

Überwiegend Auswärtige

Früher kamen überwiegend Kurgäste ins Lokal. Die Einheimischen haben gerade einmal 15 bis 20 Prozent der Gäste im Schönblick ausgemacht, schätzt Eß. Besonders die gegenüberliegende Regina-Klinik der Landesversicherungsanstalt Bayern beherbergte viele zahlende Kunden. "Das waren super Gäste aus München und dem Rheinland. Die haben richtig Leben und Umsatz gebracht."

Schicksalsjahr 1999

Nach der Jahrtausendwende brach das Geschäft nach und nach ein. 1999 war für Eß ein schlimmes Jahr, denn damals wurde die Regina-Klinik vom Betreiber aufgegeben. "Da wurden es auf einen Schlag weniger Gäste", sagt er. Die Schließung habe sein Lokal erheblich getroffen. Nach 1999 schlich dieser Prozess leise voran. Eß gibt dafür unter anderem den diversen Gesundheitsreformen der Bundesregierung die Schuld, die das Gesundheitssystem unter Sparzwänge stellten. Jahr für Jahr wurden es weniger Gäste, so dass Eß sich Mitte der Nuller Jahre gezwungen sah, das Schönblick einzuschränken: Fünf anstatt sieben Tanztagen. Seit 2008 öffnet Eß nur am Wochenende.
Die Tänzer verschwinden. Eß schafft es kaum, neue Besucher anzusprechen und seine Stammgäste werden wie er selbst immer älter. Der Altersdurchschnitt dürfte deutlich über 60 Jahren liegen. Manchmal, wenn ein Stammgast sich mehrere Wochen nicht im Schönblick sehen lässt, befürchtet Eß das schlimmste. "Ich habe einen Gast aus Schweinfurt. Der hat getanzt wie der Lump am Stecken. Er war 14 Tage nicht da, dann kam er wieder rein und war total zusammengefallen." Den Mann hat es wie ein Gewitter von oben getroffen. Es scheint, als ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis es dem Schönblick ähnlich ergeht.

Tanzlokale in Bad Kissingen


Früher In den 1980er Jahren gab es in Bad Kissingen diese Tanzlokale: Schönblick, Staffelshöhe, Schweizerhaus, Roxy, Hotel Rixen, Rhönklause (Hotel Frankenland), Alt Berlin, Botenlaube, Bierscheune, Piazetta (Hotel Sonnenhügel).

Heute Die meisten der alten Tanzlokale sind mittlerweile geschlossen. Einzig Schönblick, Piazetta, Timeout (Hotel Frankenland) und die Bierscheune sind geblieben. Das Kurgartencafé hat Tanzveranstaltungen im Programm. lbo