Die Landphobie der jungen Ärzte
Autor: Sigismund von Dobschütz
Bad Kissingen, Sonntag, 01. Oktober 2017
Bekommt der Landkreis einen dritten HNO-Facharzt?
Bis vor fünf Jahren gab es im Landkreis Bad Kissingen noch vier Fachärzte für Hals-Nasen- Ohren-Heilkunde, drei in Bad Kissingen und einen in Hammelburg. Heute sind es mit Prof. Dr. Michael Kersebaum (Kurhausstraße 12) und Dr. Frank Caspary (Ludwigstraße 5) in Bad Kissingen nur noch zwei. Die Altlandkreise Hammelburg und Bad Brückenau sind unbesetzt. Nach Jahren des Zögerns hat die Kassenärztliche Vereinigung (KV) im Juni 2016 eine "drohende Unterversorgung" festgestellt und einen Zuschuss bis zu 60 000 Euro für die Eröffnung einer dritten HNO-Praxis ausgelobt.
Nach Meinung der zwei im Landkreis verbliebenen Fachärzte war die Unterversorgung im HNO-Fachgebiet zwar schon Jahre zuvor gegeben, da eine zwischenzeitig zugelassene dritte Planstelle im Bad Kissinger MVZ-Ärztezentrum Heiligenfeld (Hartmannstraße) nur sehr sporadisch besetzt war. Aber spätestens seit deren völliger Aufgabe hätte der Notstand an verantwortlicher Stelle erkannt werden müssen, sind sich beide Ärzte einig. "Die KV hat zwei Jahre gebraucht, um den Notstand zu erkennen", bemängelt deshalb Caspary. "Unsere Arbeitsbelastung ist absolut grenzwertig", beschreibt Kersebaum das derzeitige Arbeitsaufkommen.
Sicher sind etliche Patienten in Nachbarlandkreise abgewandert. Aber mindestens 50 Prozent zusätzliche Patientenakten landen seitdem pro Quartal auf dem Tisch der zwei Ärzte, wobei die Zahl der Patientenkontakte wohl mehr als doppelt so hoch wie in früheren Jahren ist. Erst wenn um 19 Uhr der letzte Patient die Praxis verlassen hat, kann sich Kersebaum der stetig wachsenden Verwaltungsarbeit widmen und seine Aktenberge abarbeiten. "Auf Dauer kann man ein solches Arbeitspensum nicht durchhalten", bestätigt auch Kollege Caspary, dessen Arbeitstage ebenso ausgefüllt sind. "Wir arbeiten jetzt ein paar Stunden länger und haben die Mittagspause verkürzt."
Erst im Juni des Vorjahres hatte die Kassenärztliche Vereinigung die Unterversorgung anerkannt. "Nicht die KV Bayern, sondern die Zentrale in Berlin legt den Niederlassungsplan fest", merkt Dr. Gunther Carl, Vorstandsbeauftragter der KV Unterfranken für Fachärzte, dazu an. "In Berlin wird bestimmt, wie viele Fachärzte pro Fachgebiet in einer Region eine Praxis aufmachen dürfen." Erst nach mehrmaliger Anmahnung des bayerischen Landesausschusses sei man in Berlin dem bayerischen Antrag gefolgt und habe zusätzliche 1,3 Planstellen im Landkreis freigegeben. Carl: "Jetzt dürfte es also eine dritte Praxis und noch eine weitere Halbtagsstelle geben."
Doch die Freigabe einer Planstelle ist nur die eine Seite der Medaille. Die KV muss erst einmal einen niederlassungswilligen Facharzt finden. "Dies ist nicht zuletzt von der Attraktivität der Region abhängig", weiß Carl aus Erfahrung. "In wirtschaftlich unattraktiven Regionen wollen sich weniger Fachärzte ansiedeln als in Großstädten." Das sieht auch Caspary so: "Junge Ärzte haben eine Landphobie."
Kollege Kersebaum macht auf eine andere Schwierigkeit aufmerksam: Nach Abzug aller Kosten, Steuern und Beiträgen bleibt dem selbstständigen Arzt kaum mehr in der Kasse, als ein Oberarzt an der Klinik verdient. Kersebaum: "An der Klinik trägt er kein unternehmerisches Risiko, hat dabei feste Arbeits- und Urlaubszeiten." Außerdem haben auch Fachärzte inzwischen ganz andere Prioritäten als nur den Beruf. Caspary: "Heute müssen auch die Berufsmöglichkeiten des Ehepartners berücksichtigt werden." Da ist es in der Großstadt fraglos einfacher, einen attraktiven Job zu finden.
Doch Gunther Carl von der KV macht Hoffnung: "Wir sprechen gerade mit einem Interessenten." Mehr dürfe er aus Gründen des Datenschutzes nicht sagen. Nur: Warum ein solcher Interessent einen Zuschuss bis zu 60 000 Euro von der KV erhalten soll, fragt sich Michael Kersebaum, der vor 15 Jahren seine Praxisübernahme aus eigener Tasche bezahlen musste. "Die KV wird schließlich mit unseren Beiträgen finanziert, also zahlen wir Ärzte auch diesen Zuschuss." Wäre es also nicht richtiger, wenn Freistaat oder Landkreis diesen Zuschuss übernehmen würden? Kersebaum: "Schließlich geht es doch um das Wohl der Bürger."
Doch egal, mit wessen Geld diese dritte HNO-Planstelle besetzt werden könnte, bleibt das Problem der Unterversorgung wohl noch auf Jahre bestehen. "Wir beide sind doch auch schon über 60", schließt Caspary den Kollegen Kersebaum in seine Überlegung ein. "In ein paar Jahren werde ich die Praxis aufgeben, weshalb ich mich schon jetzt nach einem Nachfolger umsehen muss." Es dürfte also auch weiterhin eine "drohende Unterversorgung" durch HNO-Ärzte im Landkreis bestehen bleiben.