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Die Krux mit dem Kassensitz


Autor: Benedikt Borst

Bad Kissingen, Sonntag, 10. April 2016

Überstunden, mühsame Nachfolgersuche, volle Praxen: Hausärzte im Landkreis haben eine Reihe von Problemen zu bewältigen
Medizinstudent Simon Ruppert (rechts) macht ein Praktikum in der Lehrpraxis von Dr. Ralph Brath. Generell haben die Bad Kissinger Hausärzte aber Nachwuchssorgen.  Foto: Borst


Etliche Bewohner von Pflegeheimen durften in den letzten Tagen aufatmen. "Es wurde eine Lösung für unsere Bewohner gefunden. Es wird weiter Hausbesuche geben", berichtet Margarete Blach, Direktorin der Seniorenwohnanlage Rosenhof. Gleiches ist vom Parkwohnstift sowie den Alteneinrichtungen der Caritas zu hören. Hintergrund ist, dass der Allgemeinmediziner Dr. Günter Bedenk zum 1. April seine Praxis nach 30 Jahren abgegeben hat.

Elena Ruch, die den Kassensitz übernommen hat, hat zwar einen Großteil, aus Kapazitätsgründen aber nicht alle Patienten übernommen.
Heimbewohner, die von Bedenk in den Einrichtungen betreut wurden, mussten sich deshalb kurzfristig nach einem neuen Hausarzt umsehen. "Wir sind froh, dass die Betroffenen anderweitig versorgt werden. Einige Bewohner waren schon sehr verunsichert", berichtet Simone Sick, Pflegedienstleitung im Parkwohnstift. Die in Bad Kissingen ansässigen Hausärzte haben einen Kompromiss gefunden und die Behandlung der betroffenen Patienten in den Heimen übernommen.


Generationswechsel steht an

"Die verbliebenen Kollegen versuchen das zu kompensieren", sagt Dr. Herbert Schulze, Vorsitzender des ärztlichen Kreisverbandes Bad Kissingen. Damit sei zwar das akute Problem vorerst vom Tisch, die Lage sei aber grundsätzlich angespannt und werde sich in den nächsten Jahren weiter verschärfen. "Es wurde aufgefangen, letztlich aber zu Lasten des Services", sagt er. Die Folgen sind ausgebuchte Praxen, randvolle Wartezimmer und lange Wartezeiten während der Sprechstunden. Dass Patienten häufig klagen, wie schwer es ist, einen Arzt zu finden und manche sich mittlerweile sogar nach Praxen in Schweinfurt umsehen, überrascht Schulze nicht. "Das ist die logische Konsequenz", meint er.
Die Ursachen für die Situation sind vielfältig. Eine hängt mit dem Generationenwechsel zusammen, der sich bei den Hausärzten zum Teil gerade vollzieht, zum Teil aber noch bevorsteht. Neben Bedenk hat aktuell außerdem Dr. Joachim Stanjek seinen Kassensitz an eine junge Kollegin übergeben. Weitere drei bis vier Kollegen haben laut Schulze das Rentenalter erreicht und werden in absehbarer Zeit aufhören.
"Bevor ich den Kassensitz übernommen habe, habe ich mich ein halbes Jahr in der Praxis von Dr. Stanjek eingearbeitet", sagt Nachfolgerin Dr. Susanne Sorgenfrei. Seit Anfang des Monats leitet sie die Praxis in Reiterswiesen, Stanjek praktiziert noch einige Zeit als angestellter Mediziner bei ihr weiter. Sorgenfrei hat alle Patienten übernommen und plant, die Praxis in der vorhandenen Größe zu erhalten.
Das ist notwendig, denn die Praxis ist ebenfalls ausgelastet und neue Patienten können nur in geringem Umfang aufgenommen werden. Die wenigen freien Kapazitäten vergibt sie vor allem an noch unversorgte Menschen. Wer den Hausarzt wechseln möchte, hat nur geringe Erfolgsaussichten. "Es ist knapp. Die Hausärzte arbeiten alle an der Belastungsgrenze", betont Sorgenfrei.


System baut auf Überstunden

Dass eine Praxisnachfolge reibungslos funktioniert, kommt nicht immer vor. Im Gegenteil: Nicht selten bemühen sich Ärzte erfolglos darum, dass ihre Praxen weitergeführt werden. Nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) werden jährlich in Unterfranken 15 Praxen ohne Nachfolger geschlossen. Hinzu kommt ein generelles Ungleichgewicht zwischen den Ärztegenerationen. "Für jeden Arzt der aufhört, brauchen Sie drei Nachfolger", sagt Schulze vom ärztlichen Kreisverband. Das liege vor allem daran, dass junge Kollegen andere Lebensplanungen haben, sich feste Arbeitszeiten wünschen und nicht mehr in dem Maß zu Überstunden bereit sind, wie ältere Mediziner. Legitime Gründe, die aber dazu führen, dass heutzutage mehr Ärzte nötig sind, um dieselbe Anzahl an Patienten zu versorgen. "Unser System funktioniert nur durch den überproportionalen Einsatz der Beteiligten", kritisiert Schulze.


Junge Ärzte zurückgewiesen

Nächstes Problem: Der Landkreis Bad Kissingen gilt bei der KVB als überversorgt. Rein rechnerisch gibt es 3,4 Hausärzte mit Kassensitz zu viel. Die Zahlen sind allerdings problematisch. Es kommt immer wieder vor, dass Gebiete als statistisch überversorgt angesehen werden, obwohl eigentlich ein Bedarf an zusätzlichen Hausärzten besteht. Für die medizinische Versorgung im Landkreis ist das schädlich. "Wir hatten bereits junge Kollegen, die sich hier niederlassen wollten, aber keinen Kassensitz bekommen haben", berichtet Schulze. Er beschuldigt die Politik und die kassenärztliche Vereinigung, dass sie Probleme ignorieren, auf die seit Jahren von den Ärzten hingewiesen wird.