Druckartikel: "Die Industrie ist heute anders"

"Die Industrie ist heute anders"


Autor: Kathrin Kupka-Hahn

Burkardroth, Freitag, 20. Mai 2016

Burkardroths Bürgermeister Waldemar Bug erklärte im Interview, was am geplanten Industriegebiet zwischen Stralsbach und Poppenroth ökologisch ist.
Bürgermeister Waldemar Bug an seinem Schreibtisch.  Foto: Kathrin Kupka-Hahn


Seit Wochen wird im Markt Burkardroth diskutiert. Grund: Die Gemeinde plant, ein neues Industriegebiet zu erschließen. Entstehen soll es auf einer etwa 20 Hektar großen Fläche oberhalb von Stralsbach, direkt an der B 286, an der Gemarkungsgrenze zu Poppenroth. Jedoch handelt es sich dabei um kein Industriegebiet im klassischen Sinne, sondern um ein ökologisches. Einen Begriff, den es bisher so nicht gab. Anlass genug, um bei Bürgermeister Waldemar Bug (ödp) nachzufragen.

Warum planen Sie ein ökologisches Industriegebiet? Schließen sich die beiden Begriffe Ökologie und Industrie per se nicht aus?

Waldemar Bug: Wer an Industrie denkt, dem fallen sofort Attribute wie laut und dreckig ein. Dabei ist die heutige Industrie anders. Vieles wird mit Auflagen geregelt, weshalb dort auch nicht mehr wie früher gearbeitet wird. Zudem sind die Anforderungen an ein Industriegebiet teilweise so hoch, dass man gewisse Dinge unter dem Begriff Ökologie sehen kann.

Welche wären das?

Wenn man zum Beispiel versucht, trotz der Versiegelung das anfallenden Oberflächenwasser der Natur nicht vorzuenthalten, sondern es ihr vor Ort über ein Trennsystem wieder zuzuführen. Wir planen in Stralsbach das anfallende Wasser von Dächern, Verkehrsflächen und Parkplätzen im Industriegebiet in offenen Gräben, die nicht verrohrt sind, abzuleiten. Das Wasser kann über diese versickern und verdunsten, wird außerdem in Rückhaltebecken gesammelt. Nur im Extremfall soll es in weiteren Gräben in den Stralsbach geleitet werden.

Ist das nicht einer der Kritikpunkte der Bewohner?

Ja, aber die brauchen nichts befürchten, denn das Industriegebiet liegt an einer Wasserscheide. Wir haben hier an der Bundesstraße 286 einen Höhenzug. Eine Seite fällt Richtung Stralsbach ab, die andere Richtung Lauter. Es ist ungefähr hälftig, so dass auch das Oberflächenwasser je zur Hälfte in die eine und die andere Richtung abgeleitet wird.

Sie sprachen von weiteren ökologischen Anforderungen an das Industriegebiet. Welche außer der Entwässerung können Sie noch nennen?

So versuchen wir möglichst viel Ausgleichsfläche in dem Industriegebiet zu verwirklichen. Die angesprochenen Wassergräben beispielsweise etwa sind einen Meter breit, werden jedoch in Grüngürtel eingebettet, die eine Breite zwischen zehn und 15 Metern haben werden. Außerdem wird es einen breiten Grünstreifen um das Gebiet geben. Somit bleiben von der 20 Hektar großen Fläche nur noch zwölf für die Bebauung übrig. Das zeigt, dass ein großer Bereich grün bleiben wird. Als nächsten ökologischen Punkt sehe ich die Auflagen des Sternenparks. Die Beleuchtung der Flächen und auch der Werbung muss nach unten gerichtet sein und darf nicht in den Himmel abstrahlen .

Sind in dem Industriegebiet ökologische Betriebe vorgesehen?

Das wäre natürlich besonders zu begrüßen, aber bisher haben wir noch nichts in Aussicht.

Konterkarieren die Pläne für das Industriegebiet nicht ihre Zugehörigkeit zur ÖDP, die ja unter anderem für Umwelt- und Landschaftsschutz steht?

Ich sehe es keinesfalls so. Denn wir können uns nicht von der wirtschaftlichen Entwicklung abkoppeln. Man muss abwägen und beides, Ökologie und wirtschaftliche Entwicklung, in ein vernünftiges Verhältnis bringen .

Beispielsweise mit der Ansiedlung eines Recyclingbetriebes, wie die Stralsbacher vermuten?

Ein solcher Betrieb wäre grundsätzlich möglich. Recycling dient dazu, um bereits verbaute Rohstoffe wieder zu verarbeiten. Das ist ökologisch äußerst wichtig, unsere Ressourcen sind ja begrenzt, gerade im Blick auf Elektronikschrott. Man darf solche Betreibe nicht mit alten Schrottplätzen vergleichen. Selbst ein Auto zu zerlegen, unterliegt heute strengen Kriterien.

Zurück zum Natur- und Landschaftsschutz. Es gibt mehrere Grundsatzpapiere, auch des Bundesumweltamtes, dass landwirtschaftlich genutzte Flächen nicht versiegelt und einer anderen Nutzung zugeführt werden sollen. Machen Sie nicht genau das Gegenteil?

Fakt ist, wir versiegeln ein Stück Land, etwa 50 bis 60 Prozent davon. Der Rest erhält jedoch eine enorme ökologische Aufwertung: Wir pflanzen Hecken an, schaffen Feuchtgebiete beziehungsweise die Durchfeuchtung der Fläche. Zudem vermute ich, dass wir auch noch woanders für Ausgleich in der Natur sorgen müssen.

Wären die Auflagen hinsichtlich der Ausgleichsflächen für ein Gewerbegebiet geringer?

Nein, die Forderungen des Ausgleichs richten sich in erster Linie nach der Größe und dem Grad der Veränderung.
Haben Sie trotzdem keine Zweifel an den Plänen für das Industriegebiet?

Ich fürchte mich nicht mehr vor der heutigen Industrie. Ich habe selbst zwei Jahrzehnte in einem Industriegebiet zwischen Siemens und Jopp in Bad Neustadt gearbeitet und keine Rauchschwaden wehen sehen. Industrie ist heute anders als noch vor 50, 60 Jahren.

In einem Industriegebiet dürfen Betriebe aller Art unterkommen, rund um die Uhr arbeiten und auch Krach machen. Wie wollen Sie das beeinflussen?

Wir sind zu 98 Prozent Eigentümer der Fläche. Wenn uns das, was ein Interessent vorhat, nicht gefällt, müssen wir ja nicht verkaufen. Allerdings wollen wir in dem Industriegebiet Unternehmen eine Chance geben und ihnen das Nachtarbeiten ermöglichen.

Die Stralsbacher befürchten deshalb eine enorme Lärmbelästigung und haben sich mit ihren Einwänden mehrheitlich gegen das Industriegebiet ausgesprochen. Wie stehen Sie dazu?
Wir müssen alle Eingaben, sowohl die behördlichen Stellungnahmen als auch die privaten, abwägen. Wir werden diese, die möglicherweise berechtigt sind, bei den weiteren Planungen mitberücksichtigen. Ich verstehe die Einwände der Stralsbacher.

Viele Jahre lagen die Pläne auf Eis. Warum plant die Gemeinde ausgerechnet jetzt, ein Industriegebiet im Markt Burkardroth zu erschließen?

Es gibt zwei Punkte, das Vorhaben jetzt anzugehen. Mit der Abwasserleitung, die vom neuen Pumpwerk in Katzenbach über Stralsbach Richtung Großenbrach gebaut wird, haben wir eine Lösung, das Schmutzwasser des künftigen Industriegebietes abzuleiten. Außerdem hat die Gemeinde keine freien Gewerbeflächen mehr. Zahlbach ist restlos ausverkauft, lediglich im Gewerbegebiet Stangenroth gibt es noch ein Reststück, sonst nichts. Mit dem Industriegebiet wollen wir unseren Betrieben im Markt Burkardroth eine Chance geben, zu bleiben.

Das Interview führte Kathrin Kupka-Hahn.