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"Der Tod eines Handlungsreisenden" in Bad Kissingen


Autor: Gerhild Ahnert

Bad Kissingen, Sonntag, 20. Januar 2019

Die Aufführung einer Truppe von Euro-Studio Landgraf war mit dem 1. Preis der Inthega, dem "Oscar" der deutschen Gastspielbühnen, ausgezeichnet worden.
Oliver Kosteckas Bühnenbild ließ einen Blick  in Willys rastlosen Kopf zu: Ein Tisch, zwei Stühle, ein ramponierter Riesenkühlschrank, ein mit bunten Lichtchen umrahmter Innenraum mit durchsichtigem Vorhang,  ein bunter Garten-Klappstuhl, dahinter ein dunkler Keller, in dem sich Will yfür seine Selbstgespräche zurückziehen kann.  Gerhild Ahnert


Immer neue Runden von Applaus und Bravos kamen aus dem Zuschauerraum des Kurtheaters am Ende der Aufführung von Arthur Millers Weltklassiker "Der Tod eines Handlungsreisenden", mit dem eine Truppe von Euro-Studio Landgraf beim Bad Kissinger Theaterring gastierte. Die Kissinger Zuschauer wissen seit Jahrzehnten, dass sie von diesem Tourneetheater Höchstleistungen erwarten können, außerdem ist die Aufführung im Herbst 2018 mit dem 1. Preis der Inthega (Interessengemeinschaft der Städte mit Theatergastspielen), dem "Oscar" der deutschen Gastspielbühnen, ausgezeichnet worden.

Aber trotz der hohen Erwartungen an die Truppe hinterließ das Gastspiel nicht nur Begeisterung, sondern Erschütterung, lang anhaltendes Staunen über das, was Theater vermag. "Das ist doch etwas ganz Anderes als wenn man die Geschichte im Kino anschaut. Wenn man so nah dran ist, geht das doch wirklich unter die Haut!", meinte eine langjährige Abonnentin des Theaterrings.

Natürlich ist das nicht selbstverständlich der Fall, nicht selten kam das kompliziert aufgebaute Stück, das eigentlich im Bewusstsein des Titelhelden spielt und in dem deshalb alle Bewusstseinsschichten ständig präsent sind, im Laufe seiner deutschsprachigen Bühnengeschichte als eine irgendwie theoretische, lehrstückhafte Gegendarstellung zum Amerikanischen Traum und dem allzu naiven Glauben an die Machbarkeit des individuellen Glücks daher. Was die hochkarätige Truppe um Regisseur Harald Demmer dem Publikum zumutete, war eine Sternstunde des Theaters, ein so intensives, rundum stimmiges ästhetisches Gesamterlebnis, dass dessen Perfektion wehtat, dass diese dysfunktionale Familie und der in seiner Lebenslüge verstrickte Willy Loman einem fast zu nahe auf die Pelle rückten. Provokant noch heute angesichts prominenter Forderungen nach "Great America", aber vor allem zur Uraufführung 1949 ist die Tatsache, dass diese Lebenslüge aus den Versatzstücken des amerikanischen Optimismus, des Ideals der amerikanischen Prinzipientreue, des Durchhaltewillens in einer einmal eingenommenen, wenn auch völlig haltlosen Position besteht.

Tisch, zwei Stühle, ein ramponierter Riesenkühlschrank, ein mit bunten Lichtchen umrahmter Innenraum mit durchsichtigem Vorhang, davor ein Garten mit vertrockneten Baumstämmen, einer halb versunkenen Miniatur-Freiheitsstatue, einem bunten Garten-Klappstuhl, dahinter einem dunklen Keller, in dem sich Willy in seine Inneres, seine Selbstgespräche zurückziehen kann: Oliver Kosteckas Bühnenbild ließ einen Blick tun in Willys rastlosen Kopf, ermöglichte die Gleichzeitigkeit der ihn mehr und mehr plagenden Gedanken, Wünsche, haltlosen Hoffnungen, Lügengespinste, Glücksmomente in seiner Erinnerung - ein wild in seinem Käfig kreisender Hamster auf der Suche nach Erfolg, Freiheit, Glück, Liebe, Anerkennung und natürlich Geld. "Ich möchte einmal erleben, dass etwas, das ich gekauft habe, nicht erst abgezahlt ist, wenn es auf dem Müll landet!", ruft Willy verzweifelt, gefangen im Malstrom von "Buy now, pay later!", dem zynischen Motto der Verführungswelt des Konsums im Kapitalismus (projiziert auf Hintergrundsvorhang für die Anfangsszene mit Willys Begräbnis).

Nach der deutschen Erstaufführung 1950 war das für das deutsche Publikum ein typisch amerikanischer Exotismus, doch hat der uns eingeholt wie so vieles in Millers Stück.

Obwohl die vielen Szenen des Stückes ziemlich dicht getaktet sind, hat es die Regie, auch aufgrund plausibler suggestiver Soundkulisse aus realen Geräuschen, Songs und Willy Traum- und Gedankensequenzen und mithilfe sehr geschickt gewählter Kostüme und Maske (Monika Seidl und Susanna Sachs) trotz Doppelbesetzungen geschafft, ein trotz der Komplexität jederzeit verständliches Ganzes zu schaffen. Und wie bei Euro-Studio üblich waren auch die Doppelrollen ausgezeichnet besetzt und differenziert gestaltet: Maximilian Wrede als der strebsame Nachbarsjunge und später erfolgreiche Jurist Bernard wie auch als netter Kellner Stanley, Susanne Theil als hektische Sekretärin und billig-grell verführerische Seitensprung-Frau Willys in Boston und Martin Molitor als Willys unerschütterlich skrupelloser Chef genauso wie als Willys einziger Freund Charley, der mit ebensolcher Unerschütterlichkeit ihm immer aushilft, wenn er Geld und Gespräch braucht.

Frank Voß in der Rolle von Willys in Afrika und/oder Alaska reich gewordenen Bruders Ben, konnte sich auf seinen prächtigen Pelzmantel und seine körperliche Präsenz verlassen, um seine Rolle auszufüllen, bei Patricia Schäfer als Linda Loman war es gerade ihr bescheidenes Zurücktreten in den Hintergrund, ihr Nachgeben und Beschwichtigen, was ihre Rollengestaltung sehr anrührend machte.

Die beiden ungleichen Brüder Biff und Happy wuchsen im Lauf der Vorstellung zu echten Gegenspielern Willys: Der wunderbar zwischen seiner Vergangenheit als auch vom Vater gefeierter College-Sportstar und seiner Resignation nach seinem kompletten Scheitern changierende Julian Härtner als Biff und der schon ganz in das Zwecklügenvorbild seines Vaters hineingewachsene, halbwegs im Geschäftsleben und hundertprozentig im Sexleben erfolgreiche Jean Paul Baeck als Happy.

Die Sensation des Abends war aber Helmut Zierl als Willy, der Handlungsreisende, der es allen rechtmachen will, bei allem das Positive oder zumindest einen Ausweg aus dem Negativen sieht: Mit umwerfender, unermüdlicher Bühnenpräsenz, einer begeisternden Vielfalt darstellerischer Mittel und einer fast beklemmend unheimlichen Fähigkeit, Willys Kämpfe im Kopf auf der Bühne miterlebbar zu machen, packte, schüttelte und erschütterte er sein Publikum. Mit Recht wurden er enthusiastisch, das gesamte Ensemble aber ebenfalls begeistert gefeiert an diesem denkwürdigen Theaterabend.