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Der stetige Wandel fand in Etappen statt


Autor: Thomas Ahnert

Bad Kissingen, Sonntag, 09. Juli 2017

Man musste - und konnte - sich daran gewöhnen: Das Kammerorchester Bad Brückenau spielt ja nicht jeden Tag im Großen Saal des Regentenbaus.
Ein Bild mit Seltenheitswert, an das man sich gewöhnen kann: Das Kammerorchester Bad Brückenau mit dem Cellisten Daniel Müller-Schott im Großen Saal des Regentenbaus. Foto: Thomas Ahnert


Woran man sich bei den Brückenauern allerdings nicht gewöhnen musste, war das schüssige Programm, das GMD Johannes Moesus aus dem Anlass der "Kissinger Palastrevolution" zusammengestellt hatte: Es zeigte exemplarisch die freilich unblutigen, aber dennoch revolutionären Veränderungen, die die Musik im 19. Jahrhundert durchgemacht hat - mit Nachwirkungen in das 20. Jahrhundert.

Für die traditionelle Unterhaltungsmusik stand die Sinfonie d-moll op. 12/4 von Luigi Boccherini, ein "Divertissement" reinsten Wassers nach dem Zeitgeschmack, das noch dazu den etwas reißerischen Beinamen "La casa del diavolo" trägt. Das ist eine frische - und von den Brückenauern auch außerordentlich spritzig und schön strukturiert musizierte Musik, ein bisschen floskelhaft, um die damaligen Zuhörer nicht zu verstören, aber mit einem sehr virtuosen Schlusssatz, bei dem man, wenn man wollte, den Teufel um die Ecke lugen sehen und hören konnte.

Wirklich revolutionär, auch wenn man sich das heute nicht mehr vorstellen kann, war das Cellokonzert D-dur Nr. 2 von Joseph Haydn, der diese Gattung eigentlich erfunden hat. Denn bis dahin war das Violoncello vor allem ein Generalbassinstrument, das über eine begleitende Funktion nur selten hinauskam, das vor allem die Tasteninstrumente in ihren schwachen Basslagen unterstützte. Daniel Müller-Schott, der Solist in diesem Konzert, machte nachvollziehbar deutlich, worin das Neue lag: in einem hochvirtuosen Solopart mit auskomponierten Verzierungen, der damals nicht nur das Publikum, sondern auch die Cellisten überraschte, und in einer starken Emanzipation vom Orchester, gegen das sich das Soloinstrument nicht immer, aber immer wieder durchsetzen muss. Auf dieses Wechselspiel ließen sich die Brückenauer mit sichtlichen Genuss ein.

Im zweiten Teil waren zwei Neuerer mit ihren Werken unmittelbar kontrastiert: zum einen Ludwig van Beethoven, der Überwinder des platten musikalischen Unterhaltungsanspruchs, mit seiner 1. Sinfonie C-dur in einer Bearbeitung für Hörner, Oboen und Streicher - die muss man erst mal finden! - und, im Wechsel der Sätze, Anton Webern, der Überwinder Beethovens, mit seinen fünf Sätzen für Streichorchester op. 5. Das war schon deshalb spannend, weil das Orchester mit absolut schnörkellosem Ton spielte und die etwas aufmüpfige Nüchternheit Beethovens gegen die sachliche Aphorisierung Weberns stellte. Die Klassikfreunde können beruhigt sein: Das letzte Wort hatte Beethoven mit der berühmten Tonleiter seines letzten Satzes.