Druckartikel: Der perfekte Ehebruch

Der perfekte Ehebruch


Autor: Gerhild Ahnert

Bad Kissingen, Montag, 08. Dezember 2014

Heinrich von Kleists "Amphitryon" macht aus dem antiken Mythos eine beklemmend aktuelle Auseinandersetzung mit Grundfragen der menschlichen Existenz. Das wurde in der Inszenierung beim Theaterring im Bad Kissinger Kurtheater hervorragend umgesetzt.
Showdown in Heinrich von Kleists Komödie "Amphitryon": Alkmene (Dennenesch Zoudé) zwischen ihren beiden (vermeintlichen) Ehemännern (links Bernhard Bettermann als Jupiter/ Amphitryon, rechts Patrick Wolff als echter Amphitryon). Flankiert werden sie vom doppelten Dienerpaar (links: Patrick Gabriel als echter Sosias, rechts: Manuel Klein als Merkur/ Sosias) und Sandra Heuer als Charis (ganz rechts) Foto: Ahnert


Bad Kissingen — Zuerst einmal war ein wenig Fremdeln angesagt bei Heinrich von Kleists Version des berühmten Amphitryon-Stoffes beim Theaterring im Kurtheater. Denn Kleist hat den Stoff nicht nur in Verse übertragen, sondern er hat seine ganz eigene Geschichte aus der Amoure des Göttervaters Zeus mit Amphitryons Gattin Alkmene in der Gestalt ihres Ehemannes gemacht.


Doch dann wurde immer deutlicher, dass die in Ausstattung, Kostüm und Bühnenbild reduzierte Inszenierung Bernd Seidels für die Münchner Theatergastspiele Kempf ihre Zuschauer durch genau diese Beschränkung auf das Wesentliche lenkt, das dieses Kleistsche Werk zu einem Kleinod der deutschen Dramengeschichte macht. Denn was Kleist hier in einer auch für uns heute spannenden Versuchsanordnung durchspielt, ist der perfekte Ehebruch, ein Ehebruch, den die Gattin, die ihn begeht, gar nicht merkt, denn der Ehebrecher, Gott Zeus/Jupiter, kommt in Gestalt des Ehemanns.

Nicht nur Verwechslungskomödie

Dieser Kuckuckseigatte und doppelte Amphitryon hat zur Unterstützung noch einen der olympischen Götter mitgebracht, Merkur, der das Doppel von Amphitryons Diener Sosias eher mürrisch gibt, denn er muss sich mit der schon länger verheirateten Dienergattin auseinandersetzen, auf die er so gar nicht scharf ist und die ihm die Leviten liest, weil er sich so gar nicht um sie kümmert.
Was aber bei Plautus und Molière eine pfiffige, aber weitgehend harmlose Verwechslungskomödie ist, wird bei Kleist angereichert mit vielleicht typisch Deutschem, mit Philosophie, Tragik und dem Herumstochern in der Frage nach der eigenen Identität des Menschen.
Was die Annäherung aber leicht macht und auch für Menschen des 21. Jahrhunderts unmittelbar fassbar, sind die mit einem modernen Gefühlshaushalt ausgestatteten Gestalten, die Kleist aus den Bewohnern dieses von Zeus heimgesuchten thebanischen Haushalts macht. Sie stehen uns nahe in ihren Selbstzweifeln, ihrem Schock, als sie erkennen, dass sie nicht einzigartig sind, dass es sie noch einmal gibt. Wenn Amphitryons Diener Sosias irgendwann einmal akzeptiert, dass es ihn zweimal gibt und das eine Ich mit dem anderen in der Art der philosophischen Dialoge von Shakespeares Narren spricht, dann schaudert es einen, dann ist hier schon vorweggenommen, was zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Identitätsverlust die Psychiater und auch die Schriftsteller beschäftigte. Da rückt uns Kleist plötzlich ganz nahe.
In diesen Abgründen der menschlichen Identität sah auch der Regisseur der Truppe, Bernd Seidel, offenbar seinen Ansatzpunkt. Trotz der sehr stilisierten, meist düster mit einem einzigen zentralen Spot von oben ausgeleuchteten, Bühne, trotz des völligen Verzichts auf Requisiten, trotz ritualisierter Bewegungen, packte die Ungeheuerlichkeit dieser doch eigentlich kleinen Ehebruchsgeschichte unmittelbar. Da durchleiden zwei Jungverliebte, voll aufeinander fixiert, nur aneinander interessiert, das Ungeheuerliche, dass sich ein Fremder in ihre Beziehung drängt. Und - sehr eindrucksvoll herausgearbeitet von Regisseur Seidel - dass der auch noch besser ist als der sterbliche Amphitryon, wie Alkmene bestürzt zugeben muss.

Ausgezeichnet besetzt

Ausgezeichnet besetzt die Hauptrollen in der Kempfschen Truppe: Bernhard Bettermann war in der Lage, das göttliche Machtbewusstsein Jupiters immer in seiner Körpersprache auszudrücken, immer der souveräne Gott zu sein, während Patrick Wolff als echter Amphitryon sein menschliches, leidendes Doppel war. Schon bei Kleist ist der Unterschied zwischen dem echten Diener Sosias und seinem Doppel, dem Gott Merkur, weniger subtil, eher handfest, was sich in leidigen Prügelszenen ausdrückt, die Regisseur Seidel glücklicherweise seinem Publikum nur sprachlich mitteilen ließ. Patrick Gabriel gab einen Maulhelden Sosias, den Manuel Klein als Merkur/ Sosias allein durch eine Aura äußerster Arroganz in Schach hält.
Charis, die Gemahlin des Sosias, ist bei Kleist eher als das komödienstereotypische zänkische alte Eheweib angelegt. Sandra Heuer, die wie der Darsteller ihres Ehegesponses , Patrick Gabriel, noch nicht im Alter eines kampferprobten Ehepaars ist, fiel es etwas schwer so richtig klarzumachen, weshalb Merkur sie eigentlich nur mit äußerster Verachtung behandelt.
Im eigentlichen Zentrum dieser Aufführung stand Amphitryons Gattin Alkmene. Sie muss erfahren, dass das Objekt ihrer Sehnsucht, ihr einzig geliebter Ehemann, austauschbar ist und dass ein anderer (nun wirklich "göttlicher") Ehemann sogar einen Tick besser war als der vermeintlich so heiß geliebte. Dennenesch Zoudé spielte gerade den tiefen Riss, diese Identitätskrise der Liebenden, sehr intensiv und anrührend aus.
class="artZwischenzeile">
Langer Applaus und Bravos

So schaffte die Truppe das, was die Hauptaufgabe des Theaters ist, eine fremde Geschichte anschaulich und spannend einem Publikum unserer Tage zu vermitteln. Dass dies gelungen ist, zeigte der lange anhaltende Applaus mit einigen Bravos am Ende.