Dem Weiberheld geht's an den Kragen
Autor: Gerhild Ahnert
, Samstag, 10. März 2012
Shakespeare war, auch die hartleibigsten Philologen mussten es im Laufe der Zeit einsehen, im Wesentlichen ein Theatergeschäftsmann. Er kümmerte sich nicht um den ewigen Nachruhm im luftigen Raum der Schöngeister, sondern darum, dass die Kasse stimmte.
So wurde Shakespeare einer der reichsten Bürger seine Heimatstadt, weil die Londoner vom kleinsten Azubi bis zum hohen Adel in Scharen in sein Theater liefen. Wen wundert's, dass ein solch gewiefter Verkäufer nicht auf eine Kultgestalt verzichten wollte, bei der Zuschauerbindung und Beliebtheitsfaktor so perfekt stimmten wie bei seinem Sir John Falstaff, dem Saufkumpan des englischen Thronfolgers Heinrich, bevor der plötzlich als König Heinrich V. tugendhaft und abstinenzlerisch wurde. Da passte Falstaff nicht mehr hinein in Shakespeares Historien-Drama über diesen König. Kurzerhand koppelte ihn der schlaue Medienmann aus und machte ihn zum Helden der eigenen Produktion "Die lustigen Weiber von Windsor".
Spiel mit den Frauen
Hier geht es, vergleicht man das mit anderen Shakespeareschen Komödien mit ihrem tiefschürfenden philosophischen Überbau, um nicht viel: Der Weiberheld
Obwohl Verdi und Nicolai aus dem Ganzen jeweils eine sehr erfolgreiche Oper gemacht haben, gehört das Shakespearesche Original gerade in Deutschland, wo die Freunde literarischen Theaters immer die große Sorge haben, sie könnten unter Niveau zum Lachen gezwungen sein, zu den am wenigsten gespielten Werken Shakespeares.
Einen unbekümmerten Zugang zum Werk des größten Dramatikers der Weltliteratur nahm Vera Oelschlegel, eine der großen alten Damen des deutschen Theaters, für sich in Anspruch, als sie ihre eigene Textfassung für die Abschiedstournee ihres Berliner "Theaters des Ostens" inszenierte, das jetzt im Rahmen des "Theaterringes" im Kurtheater in Bad Kissingen ein Gastspiel gab.
Vor einem Rundhorizont aus weißen Vorhängen (auch Shakespeare spielte komplett ohne Bühnenbild) treten die ehrenwerten Bürger Windsors als veritables Panoptikum allzu bekannter Kleinbürgertypen (Matti Wien und Miriam Kohler als Herr und Frau Fluth; Claus Stahnke und Natalia Herrera-Szanto als Ehepaar Page), oder als grell herausgeputzte skurrile Kleinstadtoriginale (Oliver Trautwein als Pfarrer Hugh Evans, Hardy Halama als sein begriffsstutziger Neffe Abraham und Willi Händler als aufgeblasener französischer Arzt Doktor Cajus) auf. Lediglich Birte Flint als vielfach umworbene Anne Page konnte sich in ein neckisch-realistisches Geturtel mit Nym, der eigentlich Lord Fenton ist, einlassen.
Frau Oelschlegel selbst übernahm die Rolle der Wirtin, Nachrichtenträgerin und ehemaligen Lustdienerin Dortchen Quickly genüsslich in voller Montur mit knallroter Perücke, Netzstrümpfen und Zigarillo und fetzte sich mit ihrem ehemaligen Kunden Sir John Falstaff, dem Dieter Wien viel Durchsetzungskraft und Spiellaune Statur und Stimme verlieh.
Die Zuschauer genossen es
Es war also ein etwas anderer Theaterabend beim Theaterring, der sich ja auch zum Ziel setzt, alle möglichen Arten von Inszenierungen ins Kurtheater zu holen. Die Zuschauer genossen es jedenfalls in der Mehrzahl und holten beim Schlussapplaus die Akteure ein ums andere Mal vor den Vorhang - zum letzten Mal, denn die erfolgreichste Tourneetruppe aus dem Osten Berlins löst sich nach dieser Spielzeit auf. Gerhild Ahnert