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Das Garitzer Faschingsherz schlägt russisch


Autor: Thomas Ahnert

Garitz, Sonntag, 16. Februar 2014

Der BTC lud zum Ausflug "Vom Kreml bis nauf die Dölleburch".
Die siamesischen Sechslinge beim komplizierten Unterhosenballett.


Die Garitzer haben ja schon immer - im Gegensatz zu den vermufften Kissingern unten in ihrem vernebelten Tal - den Blick in die Weite gerichtet, den freien Geist schweifen lassen, haben sich schon immer am Weltniveau orientiert. Und so war es auch nicht überraschend, dass der BTC in diesem Jahr wieder zu einer Welterkundungsreise aufgebrochen war - von den Olympischen Spielen in Sotschi sicher angeregt, aber nicht beherrscht - die steil bergauf führte: "Vom Kreml bis nauf die Dölleburch" war das Motto. Allzu weit kann der Kreml aber nicht von Garitz entfernt sein, denn die Akteure verloren während der Reise Bad Kissingen nie aus dem Blick.
Dass das Publikum den Kreml nicht aus den Augen verlor, dafür hatte Axel Dürrheimer mit russischen Perspektiven auf der Bühne gesorgt: Sitzungspräsident Christian Rüth und sein Elferrat saßen auf dem Lenin-Mausoleum an der Kreml-Mauer wie das ZK der KPdSU am Maifeiertag - und im zweiten Teil hatten sie statt ihrer Narrenkappen auch die berühmten Armeekappen auf. Die Wärme kam von der aus fernen Höhen grüßenden Döllenburg.

Rotkreuzorchester an Bord

Auch wenn die Garitzer Prunksitzungen ein Hort der Kontinuität sind, war doch etwas anders: Michl Müller, der Dreggsagg, erkannte das sofort: Sitzungskapelle war nicht die Jugendkapelle der Feuerwehr ("Es hat ja noch nie gebrannt"), sondern das Rotkreuzorchester, weil es wahrscheinlicher ist, "dass mal jemand abtransportiert werden muss". Bedenklich werde es erst, wenn das Polizeiorchester auftritt. Ansonsten hatte Michl Müller, der mit der gewohnten mitreißenden Routine das Finale organisierte und anführte - das in seinen "Heimatliedern" freilich auch so ritualisiert ist wie die Last Night of the Proms - nicht aus seinem aktuellen politischen Programm geschöpft, sondern sich ganz auf die Garitzer konzentriert, auf ihren verhunzten Christbaum, auf ihre Chancen, beim "Eikeff" im Kaufland nebenbei Russisch zu lernen. Aber natürlich hatte es ihm der Wahlkampf angetan: die Kandidaten, die überall an den Laternen hängen, die Plakate mit null Aussage. Und ein bisschen gemein wurde er auch: "Ich hab immer geglaubt, dass Heppes so Bläschen um den Mund sind."

Ernsthafte Hintergründe

Bei den anderen Büttenrednern ist ein anderer Trend zu beobachten: die Verdrängung des Klamauks zugunsten des Kabarettismus: Nico Sauer als Bundespräsident Gauck mit Schärpe und Würde hatte zwar viele witzige, überraschende Beschreibungen und Titulierungen für die Größen der Berliner und Münchner Politik, aber - das war das Perfide - wenn man nach dem Lachen über die Inhalte nachdachte, musste man einfach sagen: "Der Mann hat recht."

Thomas Rüth jr. nutzt natürlich das Klamaukpotenzial seiner Rolle als Bobfahrer Popowitsch von Putins Gnaden, der zum Training nach Bad Kissin gen kommt und feststellt, dass er seinen Bob nur in der Eishalle ständig im Kreis schieben kann. Aber sein Running Gag ist ein seriöses Kissinger Problem, über das man ins Grübeln kommt: Popowitsch findet kein Quartier: Rüth nennt sieben Hotels in der Stadt, die in der Hand russischer Investoren sind und von denen sechs geschlossen sind. Und bei dem geöffneten, dem Kaiserhof Victoria, hat der Bobfahrer Probleme mit der Kontaktaufnahme, weil der einstige Vermittler derzeit in der Schweinfurter Hadergasse wohnt.

Als Zar Alexander II. kommt Benedikt Rüth in die Bütt, der den Zeiten der Grande Epoque des einstigen Weltbades nachtrauert. Auch er hat keine Probleme in Bad Kissingen Zeugen des Niedergangs zu finden - "wie bei den Bolschwiken" - vom Garitzer Christbaum bis zum Garitzer Kreisel, bei dem alle mitreden müssen. Auch er findet kein standesgemäßes Quartier. Und heftig kritisiert er den Leerstand: allein drei Gastronomiebetriebe am Marktplatz sind geschlossen. Da hat er recht. Aber die Garitzer sind einfach nur schlauer: Wenn sie eine Wirtschaft schließen, dann reißen sie sie ab, um keine Spuren zu hinterlassen.

Seniorentruppe am Kreisel

Iris Scheit, das Lästermaul des BTC, hatte sich das Thema gewählt, das manche eigentlich als Thema des Abends erwartet hatten: den Garitzer Kreisel. Als "Marianne 1" der Senioren-Überwachungstruppe sitzt sie auf der Bank und projiziert die Welt auf das Geschehen im Kreisel. Da erfährt man, wer immer erst beim dritten Rumfahren wieder rausfindet oder wer linksrum fährt (natürlich ein Reitschwieser). Da blockiert sie mit ihrem Rollator immer wieder gezielt den Verkehr, um Rückstaus an anderer Stelle abzubauen. Und da erklärt sie, warum sie gerne auf dem Kreisel beerdigt werden will: "Da dreht sich auch noch nach meinem Tod alles um mich."

Auch ein bisschen Wahlkampf

Ein bisschen Wahlkampf macht natürlich auch die "ernstschauendste Boygroup des gesamten Marbachtals", die BTC-Sänger: "Ich bin der OB Kay" und der etwas sparsamer betextete Reggae: "Ich werd' der neue OB, denn ich heiß Heppes." Und sie kommen zu der bitteren Erkenntnis, dass einer von beiden im März wahrscheinlich ins Rathaus kommt, obwohl keines aus Garitz stammt.

Die Aktionsgruppe hält sich aus dem Wahlkampf raus. Sie hat andere, zeitlose Themen, allen voran die Belegungsfrage der Garitzer Turnhalle, die seit letztem Jahr heftig diskutiert wird. Aber sie hat auch Lösungen: mit den 400 männlichen Besuchern eine Polonaise ins Herrenklo veranstalten und sie dort einsperren. Dann lassen sich problemlos noch einmal 400 Karten verkaufen. Oder, und das ist wohl auch die Realtät, so viele Stühle wie bisher stellen und dafür eine ausgefeilte Rettungsübung durchzuführen, die nach außen hin als Vorbereitung für einen Flug mit der Stimmungsrakete verkauft wird. Da bieten sich alle Gagmöglichkeiten - vom Song von den Bofrost-Söhnen bis zum Ballett derdreifachen siamesischen Unterhosenzwillinge.

Garde in drei Stufen

Ein interessanter Genuss sind die Auftritte der drei Garden, weil sich hier Entwicklungen zeigen: die köstliche Minigarde, in der alle mit Feuereifer dabei sind, aber noch nicht alle der Fünf- bis Siebenjährigen so genau wissen, was sie tun, worauf es ankommt, und andere mit Stolz im Gesicht ihre Eltern im Publikum suchen. Da ist die Jugendgarde, die schon die nötige Präzision und das Vergnügen hat, in raffinierten Einheiten olympische Sportarten darzustellen. Und da ist die BTC-Garde, die mit unaufgesetzter, tänzerischer Genauigkeit durchkomponierte Choreographien liefert. Und völlig vergessen lässt, welch hartes Training hinter dieser Leichtigkeit steckt.