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Damit die Rhön wieder wild wird


Autor: Carmen Schmitt

Oberthulba, Dienstag, 26. April 2016

Hier kann die Natur machen, was sie will. Die Schutzräume schaffen Chancen für Tiere, Pflanzen - und die Menschen. Und die müssen noch viel lernen.
Unterwegs in der Kernzone "Reithmühle" in der Gemeinde Oberthulba Foto: Carmen Schmitt


Die Krone liegt da wie ein mächtiges Skelett. Auf einem Bett aus Buschwindröschen. Zugedeckt mit Moos. Die alte Eiche darf hier liegen. Keiner räumt sie weg. Ein totes Stück Baum, das den Wald belebt. Pilze, Insekten, Vögel und Schnecken herrschen - wieder - über diesen Fleck im Forst. Wo die Krone ruht, entsteht ein Urwald. Damit das klappt, halten sich die Menschen raus. Fast.

Die Kernzone "Reithmühle" liegt im Markt Oberthulba.

Wald spielt für die Gemeinde und ihre Bürger eine wichtige Rolle. Bürgermeister Gotthard Schlereth stieß nicht nur auf Zuspruch, als er die Pläne vorstellte: aus dem 57 Hektar großen Waldstück sollte eine Kernzone des Biosphärenreservats Rhön entstehen. Urwald im Unterholz.

Veränderung schafft Verunsicherung. Der Gemeinderat, der Stammtisch, die Familien - das ganze Dorf diskutierte. Schließlich entschied es sich für die Chancen einer Kernzone.

"Wildnis zieht Besucher an", sagt Michael Geier, Chef des Biosphärenreservats Rhön. Er stellt nicht nur mehr Touristen in Aussicht: Ein Freiluftlabor mit Lernfaktor. "Hier werden wir gezeigt bekommen, wie die Natur auf den Klimawandel reagiert", sagt Michael Geier. Die Rhön habe Modellcharakter, von dem ganz Bayern profitieren könne, meint der Biosphären-Chef. Klimatisch und geologisch decke das Gebiet ein breites Spektrum ab.


Wandel dokumentieren

Einer, der mit dem Klemmbrett an der Thulba entlang durch die Kernzone streift, ist Dr. Tobias Gerlach. Er forscht im bayerischen Teil des Biosphärenreservats Rhön. Mit seinem Team will er dokumentieren, wie sich die Natur in den geschützten Gebieten verändert. Wer lebt zwischen den Hainbuchen, was wächst an dem Bach? Auf gut drei Prozent der Waldfläche von Oberthulba darf Wildnis erwachen.

Vögel profitieren rasch von den Büschen, die jetzt wieder sprießen dürfen. Bei Insekten wie den Totholzkäfern dauert es länger, bis sie sich ihren Lebensraum zurückerobern, erklärt Tobias Gerlach. Die "Reithmühle" - für ihn ein Glücksfall - und Vorbild für andere Kernzonen.

In dem Schutzgebiet war keine Nacharbeit nötig. Die einzelnen Fichten zwischen den Buchen, Hainbuchen, Eichen, Erlen und Eschen durften bleiben. Anderswo erziehen Rodungen Waldstücke zur Ursprünglichkeit. Die Rhön hat in Mitteleuropa eine große Verantwortung für Buchenwälder, meinen Fachleute. "Die Palette kleiner Kernzonen können nicht die gleiche Aufgabe erfüllen wie ein großer Nationalpark", sagt Michael Geier. Aber: "Hier entsteht ein Lernort und Genussort", meint Naturschützer Claus Schenk vom "Haus der Schwarzen Rhön".
Die Kernzone "Reithmühle" ist wohl eine der wenigen Schutzgebiete, durch die ein Wanderweg führt. Im vergangenen Jahr wurde der "Thulbataler" freigegeben, ein Wanderweg, der über zehn Kilometer auch durch die Kernzone führt. Auf bestehenden Wegen. Die ließ sich die Gemeinde nicht nehmen.

Einige Bürger sorgten sich bei der Diskussion um die Verwirklichung um ihr Brennholz, das ihnen rechtmäßig aus dem Gemeindewald zusteht. "Kein Problem", versichert Bürgermeister Gotthard Schlereth. Das Gebiet, aus dem die Schutzzone wurde, war für die Waldwirtschaft ohnehin nicht optimal. Mächtige Buntsandsteine versperren die Wege.

Weitere Kritiker: die Jäger. Die befürchteten große Schäden für benachbarte Wälder, würde man der Wildsau in der Kernzone freie Bahn lassen. Ein Kompromiss musste her. Die Unesco-Chefs lieferten ihn. Die Jagd heißt im Biosphärenreservat jetzt "Wildtiermanagement". Jeder habe einen berechtigten Anspruch an den Wald, meint Forstamtsleiter Bernhard Zürner. "Wir müssen versuchen, einen Mittelweg zu finden."


Kernzone Auf mindestens drei Prozent der Fläche eines UNESCO-Biosphärenreservats muss die Natur sich selbst entwickeln dürfen. Der Mensch darf beobachten und forschen. In der Biosphäre Rhön sind 3,06 Prozent der Fläche Kernzone, insgesamt 7438 Hektar und auf dem bayerischen Teil 3889 Hektar.

Pflegezone Ein Fünftel der Biosphärenreservat-Fläche ist die sogenannte Pflegezone, in der ökologisch orientierte Land- und Forstwirtschaft betrieben werden kann. Ebenso naturschonender Tourismus, Umweltbildung und Landschaftspflege. Pflegezonen sind Landschaftsschutzgebiet oder Naturschutzgebiet. In der Rhön macht die Pflegezone 22,15 Prozent der Fläche aus.

Entwicklungszone Im anteilsmäßig größten Gebiet (hier: 74,79 Prozent) haben Gewerbe und Landwirtschaft die gleichen Bedinungen wie außerhalb eines Biosphärenreservats. Die Ausnahme: Die Verarbeitung und Vermarktung regionaler Produkte wird besonders gefördert.

Infofahrt Für die Tagesfahrt in die "Urwälder von morgen" am Freitag, 29. April, können sich Interessierte beim "Haus der Schwarzen Berge" anmelden unter Tel.: 09749/912 20. Start ist um 9 Uhr in Hammelburg. Ziel: die Kernzonen Ofentaler Berg, Reithmühle, Nasswald und Farnsberg. Inhalte sind Naturschutzkonzepte, Gespräche über Artenschutz die Vorstellung von natürlicher Waldentwicklung.