Was macht diese Nähe mit Ihnen?
Manchmal ist es traurig, man erlebt die Schicksalsschläge mit. Das beschäftigt einen schon. Gerade wenn es Kindern passiert. Wir schreiben Kondolenzkarten, wenn jemand stirbt. Man fühlt einfach mit. Aber das ist auch das Schöne, dass es so persönlich ist.
Wann hatten Sie das letzte Mal einen Mörser in der Hand?
Den Mörser nutzen wir nicht mehr. Salben machen wir jetzt mit einer Rührmaschine. Früher hat es schon mal zwanzig Minuten gedauert, bis die Salbe fertig war. Mit der Rührmaschine dauert das nur drei Minuten. Dafür gibt es viel mehr Dokumentationsvorschriften, so dass es in der Summe doch länger dauert.
Wie hat sich das Apotheken-Business verändert?
Die Substitution gab es früher nicht. Ich glaube, das fing in den 2000er Jahren an. Ehemalige Drogenerkrankte bekommen Methadon, das sie trinken, oder sie nehmen Subutex, ein Betäubungsmittel, ein
(sie holt Levomethadon, ein starkes Schmerzmittel aus einem Laborschrank, der immer verschlossen sein muss). Wir haben eine Kooperation mit Kidro. In der Woche kommen etwa 15 bis 20 Leute und holen das ab.
Welche weitere n Änderungen gibt es?
Es gibt seit etwas mehr als 15 Jahren Rabattverträge zwischen den Krankenkassen und Firmen. Das bedeutet für uns, wenn ein Kunde kommt, der etwa bei der AOK versichert ist, dürfen wir ihm nur das Medikament geben, das die Firmen und die Krankenkasse bei der Preisabsprache festgelegt haben.
Was passiert, wenn man ein anderes gibt?
Es ist schon passiert, dass wir aus Versehen, ein Medikament herausgegeben haben, dass von der Wirkstoffkombination zwar identisch war, aber nicht dem entsprach, was zwischen Krankenkasse und Hersteller festgelegt war. Für den Kunden war das egal, aber für uns als Apotheken kann das schwerwiegende Folgen haben.
Welche Folgen haben Preisabsprachen zwischen Krankenkasse und Hersteller für Sie?
Die Krankenkassen prüfen die Rezepte, ob wir tatsächlich das Medikament herausgegeben haben, das bei der Preisabsprache festgelegt wurde. Ist das nicht der Fall wird es "retaxiert". Wir bekommen dann keinen Cent.
Die Argumentation der Krankenkassen lautet, es gibt eine Absprache und Sie haben sie nicht eingehalten.
Das Problem ist, dass die Krankenkassen oft ein dreiviertel Jahr brauchen, um die Rezepte zu prüfen. Bis wir erfahren, dass überhaupt ein Fehler passiert ist, kann der bereits häufiger passiert sein. Da können schon mal Beträge um die 10.000 Euro zusammenkommen. Das Risiko tragen wir. Eine Versicherung gibt es nicht.
Spüren Sie, dass weniger Kunden zu Ihnen kommen, weil es Online-Apotheken gibt?
Nein, das spüren wir nicht. Das liegt aber auch daran, dass Garitz ein Dorf ist. In der Stadt kann das anders sein. Manchmal sagen die Leute, dass sie ein Produkt im Internet für zwei Euro billiger bekommen. Aber wir leben davon, dass die Menschen zu uns kommen und nicht im Internet bestellen. Wenn am Sonntag ein Notfall ist, ist es den Menschen wichtig, eine Apotheke in der Nähe zu haben.
Gibt es im Moment Lieferschwierigkeiten?
Ibuflam und Novaminsulfon (beides Schmerzmittel) ist derzeit knapp. Auch Paracetamol-Saft ist schwer zu kriegen.
Kaufen die Leute viele Lifestyle-Produkte? Also etwa Diät-Mittel oder zur Verbesserung des Aussehens?
Wir beraten fair. Wenn es Mist ist, dann sagen wir das. Bei so manchem Abnehmzeug sagen wir ehrlich: Lassen Sie die Finger davon. Das gehört sich auch. Das honorieren die Menschen.
Was sehen und wissen viele Kunden nicht?
Vorne im Verkaufsraum herrscht die alte Gemütlichkeit, hinten in den Räumen gibt es viel zu tun, etwa Medikamente bestellen, Salben mischen. Außerdem wissen viele nicht, dass ein Apotheker in einer Apotheke immer anwesend sein muss. Ich kann also nicht mal schnell mit Ihnen einen Kaffee trinken gehen, sonst darf die Apotheke nicht geöffnet sein, auch wenn meine Mitarbeiterinnen anwesend sind.
Wir haben alle zwölf Tage Notdienst. Dann stehen wir zwei Tage am Stück in der Apotheke (sie weist auf das Bett, das im Büro steht). Der Notdienst geht 24 Stunden bis Montag und dann schließt sich daran ein voller Arbeitstag. Da ist man schon müde.
Das Gespräch führte Charlotte Wittnebel-Schmitz.
Zum 65. Geburtstag
Die Apotheke erhielt von der Industrie- und Handelskammer zunächst eine Urkunde zum "75. Geburtstag". Daraufhin stellte die Apotheke überrascht, aber erfreut Geschenk-Körbchen für Kunden auf. "Dann sind Kunden auf uns zugekommen und haben gesagt, vor 75 Jahren gab es hier noch gar keine Apotheke." Wahrscheinlich ist irgendwo ein Zahlendreher passiert. "Es sind 65 Jahre", sagt Graetz lachend. wns