Druckartikel: Bruckners Ungeliebter

Bruckners Ungeliebter


Autor: Thomas Ahnert

Bad Kissingen, Sonntag, 20. Januar 2013

Beim Abschlusskonzert erklang die 4. Sinfonie zum ersten Mal mit dem vom Komponisten verworfenen Schlusssatz.
Alexandra Gruber war die Solistin beim 2. Klarinettenkonzert von Carl Maria von Weber. Foto: Thomas Ahnert


Jetzt ist auch der Bayerische Rundfunk beim Kissinger Winterzauber in seiner 14. Auflage angekommen. Das Abschlusskonzert im Großen Saal des Regentenbaus mit der Philharmonie Festiva unter der Leitung ihres Gründers Gerd Schaller wurde vom Studio Franken aufgezeichnet.

Eine weise Entscheidung, auch wenn Mozarts pfiffig, aber ohne Hektik gespielte Figaro-Ouvertüre sicher schon hundertfach in den Archiven des BR schlummert. Aber schon das zweite Werk des Abends lohnte den Aufwand. Alexandra Gruber, Soloklarinettisten bei den Münchner Philharmonikern, war auch die Solistin bei dem selten aufgeführten 2. Klarinettenkonzert Es-dur op. 74 von Carl Maria von Weber. Das ist ein unaufgeregtes, geradezu gemütliches, auf Volkstümlichkeit zielendes Stück Musik, das keine großen Spannungen oder Konflikte transportiert, sondern das der Klarinette immer wieder Gelegenheit gibt, sich virtuos zu präsentieren.

Und Gerd Schaller öffnete diese Tür sehr weit.

Er ließ keinen Zweifel daran, dass Weber - wie des öfteren auch Mozart - in seinen Instrumentalwerken sehr opernhaft dachte, etwa bei der theatralischen, marschartigen Orchestereinleitung des ersten Satzes, die mit amüsanter pseudomartialischer Wucht daher kam. Aber sobald sich die Klarinette einmischte, nahm Schaller die Lautstärke soweit zurück, dass Alexandra Gruber sich unbedrängt entfalten konnte. Und das tat sie. Sie präsentierte in den beiden Ecksätzen eine lustvolle Virtuosität, die mit Mühelosigkeit und Leichtigkeit verblüffte und trotz des hohen Tempos im Schlusssatz, der "Polacca", plastisch differenzierte. Wie wunderbar leise die Philharmonie Festiva spielen kann, ohne Verrat an der Spannung zu begehen, zeigte sie in der Romanze. Und das war auch gut so, denn Alexandra Gruber spielte ihren Part außerordentlich weich und sanglich und mit ganz langem Atem.


Ein außerordentlich analytischer Dirigent

Vor allem gekommen war der Bayerische Rundfunk natürlich wegen Anton Bruckners 4. Sinfonie, die im Regentenbau zum ersten Mal in der so genannten "Volksfestfassung" erklang. Der Musikwissenschaftler William Carragan hat den vierten Satz der Sinfonie wieder hergestellt und angefügt, den Bruckner bei einer seiner zahlreichen Bearbeitungen verworfen hatte.

Es war als einmal höchst interessant zu hören, was vor Bruckner selbst bei kritischer Betrachtung keine Gnade gefunden hatte, obwohl er es selbst komponiert hatte. Und man muss sagen: Bruckner hatte erstaunlicherweise Recht. Denn der thematische Umgang ist nicht so spannend, wie man das bei ihm erwarten würde, und auch der Schluss bleibt seltsam unerlöst.

Gerd Schaller ist ein außerordentlich analytischer Dirigent, der sich allerdings nicht darauf beschränkt, die Musik in ihre Einzelteile zu zerlegen und sie zu verdeutlichen, sondern der sie auch wieder zu einem spannenden Ganzen zusammensetzen kann. So wurde, von der Philharmonie Festiva sehr konzentriert musiziert, nicht nur die Architektur des großen Werkes deutlich, sondern auch, warum sie den Beinamen "Romantische" bekam - nicht, weil sie, wie Bruckner meinte, im ersten Satz das Bild einer mittelalterlichen Stadt evozierte, sondern wegen des großen romantischen Klangs, den das Orchester trotz seiner relativ kleinen Besetzung entickeltz, nicht zuletzt dank eines hervorragenden Auftritts der Blechbläser.