Blinde und Sehbehinderte in Bad Kissingen: Test am Tast-Modell
Autor: Ralf Ruppert
Bad Kissingen, Montag, 23. Sept. 2019
Seit einem Jahr steht ein Tast-Modell im Kurgarten, aber die Beschriftung fehlt bis heute: Wir haben es mit Blinden und Sehbehinderten getestet.
Nach den Buchstaben des Gesetzes gilt Gisela Schmitt als blind, weil ihr Sehvermögen seit Geburt an unter zwei Prozent liegt: Die 68-Jährige hat einen angeborenen Grauen Star und ein nicht voll entwickeltes Auge, sieht ihre Umwelt nur wie durch dickes Milchglas, ist auf starke Kontraste angewiesen. Trotzdem ist ihr dieses Rest-Sehvermögen sehr wichtig: "Ich sage immer, dass ich fast blind bin, weil ich mich ja zumindest noch orientieren kann", erzählt Gisela Schmitt, und: "Ich habe gelernt, mit meinem Seh-Rest umzugehen." Umso mehr sei sie auf Hilfen im Alltag angewiesen.
Eine solche Hilfe soll das Tast-Modell von Regenten- und Arkadenbau sowie der Wandelhalle im Kurgarten sein. Vor etwa einem Jahr wurde es im Zuge der Neu-Eröffnung der Tourist-Info aufgestellt. Doch das Urteil von Gisela Schmitt ist eindeutig: "Es ist ein wunderschönes Modell, aber nicht für Blinde und Sehbehinderte." Warum? Auch wenn sich Gisela Schmitt jetzt vorstellen kann, welche Dachform der Regentenbau hat, wie die Arkaden geschwungen sind und wie die Fassaden verziert sind, hilft es nicht bei der Orientierung.
"Das ist eine gelungene Miniatur der Realität, aber eben kein Plan", sagt Kirsten Hüser-Nuß vom ambulanten Reha-Dienst des Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbundes (BBSB). Daran könnten auch die Tafeln nichts ändern, die noch fehlen: "Die Gebäude müssen direkt beschriftet werden", macht die Betreuerin, die in ganz Unterfranken unterwegs ist, einen Verbesserungsvorschlag, und: "Der Standort muss ertastbar sein."
Das bekräftigt Gisela Schmitt, die regelmäßig ehrenamtlich für den BBSB auch nach Bad Kissingen kommt: "Ich weiß, dass es einen Arkadenbau gibt und ich höre Brunnen, aber ich weiß nicht, wo ich hingehen muss." Dabei sei in dem Modell durchaus auf Details geachtet worden, zum Beispiel haben die Saale und die Brunnen, also alle Wasser-Oberflächen, eine einheitliche Struktur, aber ohne Beschriftung oder die Erläuterung eines Sehenden sei das alles nicht zu verstehen.
Mit zum Test hat Gisela Schmitt Carola (55) und Oliver (58) Groß genommen. Vor 18 Jahren zog das Ehepaar mit ihrer Tochter nach Bad Kissingen. Kennen gelernt haben sich die beiden Sehbehinderten bei einer gemeinsamen Umschulung zum Masseur und medizinischen Bademeister. Weil Carola Groß dann eine Stelle in Bad Kissingen fand, wagten sie den Umzug.
Das sei für blinde und sehbehinderte Menschen immer eine besondere Herausforderung, weil jeder Weg und jede Hürde neu ist. Aber es gibt Hilfen: Krankenkassen stellen zum Beispiel Mobilitätstrainer, die das Einleben erleichtern. Gisela Schmitt wirbt dafür, dass diesen Dienst auch alle Menschen in Anspruch nehmen, deren Sicht sich im Laufe ihres Lebens einschränkt, denn: Im Gegensatz zur Gründung im Jahr 1920 als Bayerischer Blindenbund steigt der Anteil der Menschen mit einem mehr oder weniger großen Rest-Sehvermögen. Eine Folge: Nur etwa ein Viertel der Blinden und Sehbehinderten kann die so genannte Braille- oder Punkt-Schrift ertasten. "Wer wegen Diabetes sein Augenlicht verliert, hat auch nicht mehr genug Gefühl in den Fingern", berichtet Gisela Schmitt. Weiteres Problem: Bei der Braille-Schrift gibt es eine Voll- und eine Kurz-Schreibweise.
Deshalb wäre es sinnvoll gewesen, bei den Tast-Modellen im Kurgarten und der Kopie vor der Tourist-Info die großen Flächen für Beschriftungen sowohl in Punkt-, als auch in Großschrift zu nutzen. Oder eine Erläuterung in Großschrift anzubieten. Damit kann das Personal der neuen Tourist-Info aber nicht dienen. Die Staatsbad GmbH verweist jedoch darauf, dass die Mitarbeiter über das Tast-Modell auf Anfrage informieren.