Beständigkeit im Wechsel
Autor: Thomas Ahnert
Bad Kissingen, Mittwoch, 18. Juni 2014
Das Artemis-Quartett hat gravierende Wechsel hinter sich, aber die hohe Qualität hat nicht gelitten.
Bad Kissingen — Es gibt unter den führenden europäischen Streichquartetten kein Ensemble, das seit seinem Start derartige personelle Umbauten erlebt hat wie das Artemis-Quartett: insgesamt fünf Wechsel seit der Gründung 1989. Es waren eigentlich immer nachvollziehbare Gründe für die Wechsel, aber sie fanden halt statt. Zuletzt gingen 2007 der Geiger Heime Müller und der Bratscher Volker Jacobsen. Für sie kamen Gregor Sigl und Friedemann Weigle.
2012 schied die Primaria Natalia Prishepenko aus. An ihre Stelle trat die lettische Geigerin Vineta Sareika. Einzig Eckart Runge, der Cellist des Quartetts, ist von Anfang an dabei, gleichsam als Garant für den Fortbestand des Namens.
Welch eine erstaunliche Karriere übrigens: 2011 saß Vineta Sareika noch bei der Kissinger Klangwerkstatt als hoffnungsvoller Nachwuchs auf dem Podium, wo sie durch freundliche Souveränität auffiel. Wer hätte gedacht, sie drei Jahre später wieder als Primaria ausgerechnet des Artemis-Quartetts zu erleben.
Man kann sich nicht des Eindrucks erwehren, dass dieser Wechsel dem Quartett alles andere als geschadet hat. Es hat seinen Charakter bewahrt - dafür sorgt schon Eckart Runge als "Basso continuo". Es ist nach wie vor ein Ensemble, das nicht auf die einzelnen Stimmen zielt, sondern das den lebendigen, momentübergreifenden Gesamtklang sucht. Und man bekommt das Gefühl, dass der Klang, seit Vineta Sareika vorne dran steht, ein bisschen weicher, ein bisschen verbindlicher geworden ist als bei ihrer Vorgängerin. Aber vielleicht musste man da die Trennung schon mitdenken.
Geblieben sind die musikalische Strahlkraft und die Fähigkeit, Werke als durchgehende Einheit zu verstehen wie bei Franz Schuberts d-moll-Quartett "Der Tod und das Mädchen". Natürlich stand der Variationensatz mit dem tröstenden Auftritt des gefürchteten Todes im Mittelpunkt. Aber schon der erste Satz spiegelte in dem zupackenden Spiel enorme Nervosität. Und wenn auch das Trio des Scherzos Tröstlichkeit ausstrahlte, tat es das auf einem höchst beunruhigten Untergrund der Mittelstimmen. Und das Finale blies zu einer wilden, aber hervorragend kontrollierten Jagd. Man konnte die Beklemmung des Mädchens verstehen.
Eine Rarität war György Kurtágs Streichquartett op. 28, das weiß Gott nicht jede Gruppierung in ihrem Repertoire hat. Melodienseligkeit darf der Zuhörer in diesem zwölfminütigen und 15-teiligen seriellen Werk nicht erwarten. Was hier zuallererst beeindruckte, war Kurtágs profundes Wissen um auch abseitige klangliche Möglichkeiten der Streichinstrumente, mit dem er mit den Hörererwartungen spielt und sie immer wieder auf Irrwege leitet. Und es war die höchst konzentrierte, bis ins Kleinste ausgehörte Interpretation des Artemis-Quartetts, das jedem einzelnen Ton in diesem kurzweiligen Kaleidoskop sein eigenes Gewicht gab. Den Aufwand, der hinter dieser Erarbeitung steckt, kann man nur erahnen.
Beethovens Siebensätzer
Und dann Beethovens op. 131, das letzte der späten drei Galitzin-Quartette. Es ist ein sprödes, sperriges Werk, das die schwärmerische, aber doch distanzierte Verehrung eines Denkmals genießt. Es ist ein Werk, das den Zugang nicht leicht macht mit seiner Länge, seinen etwas undurchsichtigen Strukturen, seinen Wiederholungen von bereits Bekanntem.
Das Artemis-Quartett erlag nicht der Gefahr, das Werk in seine Einzelteile zu zerlegen, sondern spannte einen durchgehenden Bogen, bezog die Satzteile expressiv aufeinander. Aber die vier Musiker zeigten trotzdem durch geschickte Gewichtungen, wo die sieben Einzelteile ihren Lauf nahmen, spielten mit konditionell erstaunlicher Intensität und gönnten dem Zuhörer im Prestosatz sogar ein humorvolles Aufatmen, das man dem alten, tauben Beethoven gar nicht zugetraut hätte. Haydn hätte danach aufgehört, aber er tat sich immer ein bisschen schwer mit dem Loslassen. Und so gab es noch einen fulminanten Schluss vor einer Kulisse der motorischen Unruhe - und man dachte plötzlich zurück an Schuberts Schlusssatz.
Ein absolut spannendes Konzert. Da haben sich wirklich vier Gleichgesinnte gefunden. In den nächsten Jahren sollte es erst einmal keine Wechsel geben.