Beim "Grand Hotel Garitz" hat der BTC alles richtig gemacht
Autor: Thomas Ahnert
Garitz, Sonntag, 27. Januar 2013
Der BTC zeigt den Kissingern, wie man ein Grand Hotel hochzieht und betreibt. Aber ob's wirklich so funktioniert?
"... und plötzlich spürt man, es ist an der Zeit, dem Zauber des Anfangs zu vertrauen und etwas Neues zu beginnen." Der Spruch, der auf den Papieretuis fürs Besteck an jedem Platz liegt, wirkt etwas arg poetisch angesichts der zu erwartenden herberen Kost, die der BTC seinen Gästen bestimmt wieder servieren würde. Aber dann, als sich der Vorhang der recht nüchternen Turnhalle langsam öffnet, stockt den Zuschauern doch kurz der Atem.
Ihr Blick fällt auf eine riesige Hotelhalle in royalem Gelb mit einem üppigen Kronleuchter in einer Glaskuppel, Balustraden und vielen Details: In den Eckenvignetten des dekorativen Deckenfreskos stehen die zentralen Tugendbegriffe des Abends: "Tümpel" und "Durst". Axel Dürrheimer und Reinhold Dörschmidt, die Meister der Perspektive, haben mal wieder gezaubert.
Das Thema war zu erwarten
Es war ja fast zu erwarten, dass das
Die Garitzer machen es den Kissingern also wieder einmal vor, wie man in nullkommanix ein Grand Hotel hochzieht und betreibt. Wobei sie es natürlich einfacher haben, weil sie nichts abreißen müssen. Die "Krone" steht ja schließlich noch - und nur unter Garitzer Denkmalschutz. Bei der Eröffnungsfeier dürfen sich die Kissinger nur die Nasen an den Scheiben platt drücken. Sitzungspräsident Christian Rüth: "Was die Natur getrennt hat, soll der Mensch nicht zusammenfügen."
Reißfester roter Faden
Das Programm ist raffiniert und konsequent durchkomponiert, alles stellt sich in den Dienst des Themas "Grand Hotel". Sogar Alexander Wachsmann und sein Rotkreuzorchester, das den Elferrat und die Garde in den Saal hineinspielt, haben sich als typische Hotelangestellte verkleidet - im zweiten Teil locken sie die Hotelgäste an die Bar. Die Jugendgarde zeigt in einer pfiffigen Choreographie eine Hotelbaustelle in rasanter Bewegung. Die BTC-Garde macht sich mit perfekten, leicht wirkenden aber hart erarbeiteten Tänzen zur Hotelschickeria.
Nico Sauer hat als 3. Bürgermeister und Facebook-Freak sein Jogging unterbrochen, um zur Eröffnung ein Grußwort abzusetzen. Natürlich rutscht er immer wieder gallig-pointiert ab in die Niederungen der hohen Politik, bis ihm einfällt, dass er ja eigentlich das Hotel loben sollte. Trotzdem, sein letzter Ausruf: "Freiheit für Pussy Riot!"
Bei Mariechen Direktor gelernt
Natürlich wirft sich der neue Hoteldirektor mächtig in die Brust. Thomas Rüth jr., der sein Handwerk an der Rezeption bei Mariechen am See gelernt hat, hält den Kissingern den Spiegel vor: "Hundertjährige Hotels gibt's noch, nur der Stil ist verloren." Politisch müsse sich etwas bewegen, etwa bei der Modernisierung der Kurzonensatzung: "Der Feuring will 35 Wohnungen bauen, und der Fürstenhof wartet ab, wie der Stadtrat die Kröte schluckt." Das Steigen berger habe zwar fünf Sterne gehabt, "aber nur im Emblem an der Hauswand. So alt wie die Hütte waren auch die Gäste. Vielleicht kommen dann wieder jüngere Leute."
Hotel zum Chaos
Schunkelfolgen - wegen des Umbaus - der "tiefergelegten", aber trotzdem präsenten Jugendkapelle der FFW Garitz mit Timo-Jan Deen am Pult leiteten die Auftritte der Aktionsgruppe ein. Sie zeigte mit viel Garitzer Selbstironie und respektlosen Dialogen, wie der Betrieb im Garitzer Grand Hotel laufen würde: nichts zu lachen für die Gäste, aber umso mehr für die Zaungäste. Und sie lud zu einem Opernball ins Hotel, der aus dem Ruder lief und in einem köstlichen rhythmischen Wettkampf der Gäste gipfelte - mit dem Schlagen von Trinkbechern auf die lange Tafel.
Die BTC-Sänger hatten die Kissinger Maläse in Lieder gefasst: "Weißt du, wieviel Sterne fehlen?" singen sie, und die Konsequenz ist klar: "Kay der Herr, hat sie gezählet", denn es könnten ja Sterne sein, die ihm bei der nächsten Wahl fehlen.Aber die fünf Männer singen ehrlicherweise auch von dem vergeblichen Versuch eines Radfahrers, für eine Nacht in Garitz ein Zimmer zu bekommen.
Und dann kommen zwei prominente Grand-Hotel-Gäste zu Wort, zunächst Iris Scheit mit einer köstlichen Parodie auf Cecilia Bartoli. Mit italienisch verquastem Deutsch und "großer emozione" startet sie eine Hommage an die berühmten Garitzer Komponisten Giacomo Kohler ("Der Eismartin") und Giuseppe Muller mit seinen Liedern vom Carnevale di Garice und dem Gondoliere del Lago.
Kaiserliche Späteinsichten
Aus historischen Tiefen taucht der berühmteste Gast des Hotels auf: Kaiser Franz Joseph I. von Österreich. Es hat ihn nach Garitz verschlagen, denn: "Wo sollst in Kissingen noch logieren?" Mit scharfem Auge und ebensolchem Witz analysiert er den Untergang des Weltbades. 'Zum Glüch hat er seine Frau dabei, denn auf "Sisserl" reimt sich "bisserl" . Und da passt so gut "da fehlt's halt a" davor. Er will sowieso nicht mehr nach Kissingen, seit sich dort ein Doppelgänger herumtreibt: "Ich hätte nie gedacht, dass mal ein Sozi auf Kaiser macht."
Und zum Schluss, als Rausschmeißer, natürlich: Michl Müller. Er mischt kurz nach Mitternacht mit seinem Tempo die ganze Gesellschaft noch mal auf, erzählt von Männern und Navis ("Männer fragen nie nach dem Weg") von Männern, die, per Handy von der Ehefrau ferngesteuert, durch die Lidl-Markt irren, von Holger und Eileen, die von der Fleischereifachverkäuferin zur Heilpraktikerin mutiert ist, und von der großen Politik. Das große Finale begleitet das Publikum, wie immer, auf den Stühlen stehend.