Bad Neustadt: Kritik an Sahra Wagenknecht
Autor: Redaktion
Bad Neustadt an der Saale, Donnerstag, 20. Sept. 2018
Thüringens Ministerpräsident unterstützt die Linken beim Wahlkampf. Dabei spricht Bodo Ramelow auch über Chemniz, das Sterben der Innenstädte und darüber, dass er zum "Aufstehen" eigentlich nur Kaffee braucht.
Als erster linker Ministerpräsident überhaupt führt Bodo Ramelow seit knapp vier Jahren den Freistaat Thüringen. Der 62-Jährige stammt aus Niedersachsen und engagierte sich sehr stark gewerkschaftlich. Von 2005 bis 2009 saß er im Deutschen Bundestag.
Herr Ramelow, waren Sie in Chemnitz, um Ihre Solidarität auszudrücken? Nein. Ich bin Ministerpräsident des Freistaates Thüringen und neige nicht dazu, mich in aktuelle politische Auseinandersetzungen in anderen Bundesländern hineinzubegeben. Ich habe eine Meinung zu einem bestimmten Vorfall in Chemnitz, und zwar, dass auch ein jüdisches Lokal überfallen worden ist. Als Stiftungsratsmitglied im Abraham-Geiger-Kolleg kümmere ich mich intensiv darum, dass das Zusammenleben mit Menschen jüdischen Glaubens in unserer Gesellschaft einen höheren Schutz bekommt. Ich war ziemlich betroffen darüber, dass es Tage dauerte, bis man überhaupt zur Kenntnis genommen hat, dass das passiert ist.
Wann wird so etwas Ähnliches wie in Chemnitz in Gera, Jena oder Eisenach passieren? Das hat doch alles schon stattgefunden. In Eisenach ist vor 15 Jahren ein Döner-Imbiss in die Luft gesprengt worden. Der Täter war im Gefängnis und ist heute der NPD-Kreisvorsitzende. In Saalfeld haben wir zwei große Demonstrationen gehabt, da war ich noch Gewerkschaftschef. Da war das, was heute Chemnitz ist, auch schon sichtbar. Aber ich bitte darum zur Kenntnis zu nehmen, dass sich das gleiche Thema auch auf der anderen Seite abspielt, also in Franken, Nürnberg, Bayern, Hessen. Wenn ich mal an Karl-Heinz Hoffmann und seine Wehrsportgruppe erinnern darf, der war aus Nürnberg und dem Großraum Franken, gebürtig aber aus Kahla. Was mich in Chemnitz umgetrieben hat, ist der Schulterschluss von Björn Höcke mit den Rechten. Da hat er es öffentlich gezeigt, obwohl er es vorher schon immer gemacht hat.
Die sächsische Integrationsministerin Petra Köpping fordert in ihrem Buch "Integriert doch erst mal uns!" eine gesamtdeutsche Aufarbeitung der Zeit nach der Wende. Stimmen Sie ihr zu? Ein Buch muss einen Titel haben, der provokant ist. Aber in der Tat teile ich den Befund: Dass Menschen ostdeutscher Herkunft das Gefühl haben, deklassiert zu sein. Ich sage Ihnen ein Beispiel: der neue Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie lobte Thüringen über den grünen Klee. Nur die Produktivität funktioniere immer noch nicht. Er hat das gar nicht böse gemeint, das will ich ausdrücklich sagen. Doch wie verstehen die Menschen das? Wir sind fauler. Das, was er feststellt, ist ein statistischer Effekt. Thüringen ist nämlich ein Zuliefer-Land. Wir haben nur einen einzigen MDAX-Betrieb. Alles andere sind verlängerte Werkbänke aus Westdeutschland.
Wie wollen Sie als Westdeutscher den Ostdeutschen helfen, sich integriert zu fühlen? Indem ich darauf hinweise, dass ich Westdeutscher bin. Ich mache mich nicht gemein und sage: Ich teile euer Schicksal. Manche Menschen machen das. Aber dadurch, dass ich von Anfang an in Thüringen bin - seit dem 28. Februar 1990 - habe ich gelernt, alles zu hinterfragen. Und da habe ich festgestellt, an welchen Stellen ständig diese Diskriminierung läuft.
Momentan erfährt Sahra Wagenknechts Bewegung "Aufstehen" großes mediales Interesse. Befürworten Sie die Initiative? Ich kann Ihnen versichern, jeden Morgen um fünf vor Sieben stehe ich auf. Danach bekomme ich einen Kaffee von meiner italienischen Mitbewohnerin, fühle mich gesammelt und gehe ins Leben.
Wer ist denn Ihre italienische Mitbewohnerin? Na, meine Ehefrau.