Bad Kissingen: Hopes Flucht vor Prostitution und Juju-Fluch
Autor: Charlotte Wittnebel-Schmitz
Bad Kissingen, Donnerstag, 11. November 2021
Ihr Vater ermordet, sie zur Prostitution gezwungen, zu Fuß nach Deutschland geflüchtet: Hope lebt jetzt in Bad Kissingen, der Verein Solwodi bietet ihr Schutz. Doch selbst hier muss sie sich vor ihren Peinigern in Acht nehmen.
Als Hope 17 Jahre war, schleusten Menschenhändler sie von Nigeria nach Europa. Sie zwangen sie, sich zu prostituieren. "Hope" so wird sie hier in Deutschland genannt. Nun, zehn Jahre später, wohnt die dreifache Mutter im Landkreis. Die Frauen der Bad Kissinger Organisation "Solwodi" nahmen Hope in ein Schutzhaus auf. "Solwodi" setzt sich für ausländischen Frauen ein, die Not und Gewalt erfahren haben.
Ermordet von Boko Haram
Im Gespräch mit dieser Redaktion erzählt Hope ihre Geschichte. Hopes Vater wurde durch die islamistische Terrorgruppe Boko Haram ermordet, "weil er Christ war". Ihre Mutter war darüber so "geschockt", dass sie sich nicht mehr um ihre Tochter kümmern konnte und ins Krankenhaus kam.
Ein Priester vermittelte das alleinstehende Mädchen an eine Frau, die ihr angeblich helfen sollte. "Ich dachte, er kann nicht lügen." Die "Madame" gab Hope das Versprechen, sie könne ihre Schulbildung in Europa fortsetzen.
Dafür allerdings musste Hope vor der Reise nach Europa einen "Juju"-Schwur leisten (gesprochen Tschu-Tschu). Ihre Haare, ihre Fingernägel, eine Unterhose wurden für das Ritual verwendet. Sie musste ein blutiges Hühnerherz essen und schwor, bei ihrem Leben, alle Kosten zurückzuzahlen, die für die Reise nach Europa und ihre Schulbildung anfallen würden. Halte sie sich nicht daran, komme "Juju", bringe Unglück oder töte sie.
Zwangsprostitution in Griechenland
Als sie in Griechenland ankam, kommt der Schock: Insgesamt 60 000 Euro soll sie auf einem Straßenstrich verdienen. Prostitution kann sie sich zunächst nicht vorstellen, hat aber nichts zu essen, macht es schließlich doch. Die unangenehmen Gefühle schluckt sie mit Alkohol herunter.
Nach eineinhalb Jahren beschließt sie 2013, dass sie so nicht leben will und flieht zu Fuß. Sie kommt in einer Asylunterkunft in Baden-Württemberg unter. Niemand weiß, was sie erlebt hat. Scham und der Juju-Schwur lassen sie schweigen. Einer Betreuerin, die merkt, dass etwas nicht stimmt, offenbart sie schließlich, dass sie "sich nicht mehr auf die Straße traut", weil sie von Mittelsmännern ihrer "Madame" gefunden und bedroht wird.
Vernetzung über ganz Europa
Das Erstaunliche: Die "Madame" wohnt eigentlich in Spanien. Sie sei aber so gut vernetzt, dass Hope auch in Südbaden nicht vor ihr und ihrer Gefolgschaft sicher ist. Der Fall geht an die Polizei. Hopes Notlage erreicht schließlich die Bad Kissinger Mitarbeiterinnen von "Solwodi". Das Team hält Hopes Geschichte für glaubwürdig und bringt sie in ein Schutzhaus. Hope ist eine von 88 Frauen, die 2020 das erste Mal bei "Solwodi" Hilfe suchten. Leiterin Renate Hofmann, Veronika Richler-Yazeji und zwei weitere Mitarbeiterinnen betreuten zusätzlich weitere 38 Frauen, mit denen sie schon länger - teils seit Jahren - in Kontakt stehen.