Bad Kissingen/Bayern: Mit dem Krebs alleine gelassen - Mann ringt mit Krankenkasse und erregt politisches Aufsehen
Autor: Benedikt Borst
Bad Kissingen, Dienstag, 19. März 2019
Laut den ersten Diagnosen sollte Richard Freibott schon längst tot sein. Dank alternativer Methoden konnte er dem Krebs Einhalt bieten. Im Streit, wer die Behandlung zu zahlen hat, hat sich nun auch die Politik eingeschaltet. Die Lage im Überblick - mit Kommentar.
Geht es nach den ersten Prognosen, wäre Richard Freibott seit fünfeinhalb Jahren tot. Vor gut sechs Jahren wurde bei dem 67-Jährigen ein aggressiver und weit fortgeschrittener Prostatakrebs diagnostiziert. Die Ärzte gaben ihm damals nur noch wenige Monate. Heute ist sein Gesundheitszustand zwar weit davon entfernt, gut zu sein, aber immerhin ist er entgegen aller Prognosen noch am Leben. Seine Behandlung verträgt er gut, die Nebenwirkungen halten sich in Grenzen. "Die Mundtrockenheit ist das Schlimmste, was ich im Moment habe. Ansonsten geht es mir relativ gut", sagt Freibott. Damit das so bleibt, muss er sich regelmäßig in einer Spezialklinik behandeln lassen. "Sonst ist es zu spät." Da ist er sich sicher.
Eigentlich könnten Freibott und seine Lebensgefährtin Ulrike Dempsey froh über die Entwicklung sein. Dass sie es nicht sein können, hat damit zu tun, dass sie wirtschaftlich am Ende sind. Dazu kommt ein kräfteraubender Rechtsstreit, den sie sich mit seiner Krankenkasse, der AOK Bayern, liefern. Im Kern steht die Frage, wer die Kosten für die Krebsbehandlungen zu zahlen hat. Um die Kosten zu stemmen hat sich das Paar bereits verschuldet, die nötigen Therapien können sie aus eigener Kraft nicht mehr finanzieren. Vor wenigen Wochen musste das Paar aus Steinach dann in einem von zwei Hauptverfahren eine bittere juristische Niederlage hinnehmen. Das belastet die Situation noch mehr. "Inzwischen war ich selbst in ärztlicher Behandlung. Nach dem Urteil dachte ich, mir fehlt jede Kraft", sagt Dempsey.
Standardtherapie im Endstadium
Zum Hintergrund: Die behandelnden Ärzte leiteten 2013 nach der Diagnose eine palliative Standardbehandlung ein. Freibott und Dempsey schildern, dass ihnen zu dieser Zeit ansonsten keine Behandlungsoptionen angeboten wurden. In ihrer Verzweiflung haben sie sich auf die Suche nach alternativen Therapien gemacht: 2015 unterzog sich Freibott zunächst in Bad Aibling einer Thermo-Chemotherapie. Ende 2015 überwiesen ihn die Ärzte dann ins thüringische Bad Berka. Die Zentralklinik ist international führend im Bereich der molekularen Radiotherapie. Hier wird er bis heute mit Lutetium 177 behandelt, einem neuen Medikament, das die Klinik für Patienten mit fortgeschrittenem Prostatakrebs anbietet. Dass er sechs Jahre nach seiner Diagnose überhaupt noch am Leben ist, liegt für Freibott und Dempsey zweifelsfrei an den Behandlungen in Bad Aibling und Bad Berka.
Wie kam es zu dem Streit?
Sowohl die Thermo-Chemo, als auch die Therapie mit Lutetium 177 gehören nicht zum offiziellen Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen. Das heißt: Eine Kasse zahlt dafür nur, wenn drei Kriterien zutreffen: Es muss sich um eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung handeln, die alternative Behandlung muss sich spürbar positiv auswirken und die Möglichkeiten der anerkannten Schulmedizin müssen ausgeschöpft sein. Die AOK weigert sich, zu zahlen. Sie stützt sich auf ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen, wonach noch schulmedizinische Behandlungsoptionen zur Verfügung stehen.
Im Falle der Thermo-Chemo hatte das Landessozialgericht Schweinfurt der AOK in zweiter Instanz Recht gegeben. Eine Berufung wurde nicht zugelassen. Dempsey und Freibott kündigten dennoch an, sich juristisch zu wehren, um mit dem Fall vor die nächst höhere Instanz zu kommen - das Bundessozialgericht (BSG). Auch wenn es menschlich bitter ist - juristisch dürften die Chancen auf Erfolg nur gering sein. Der Meinung ist auch ihr Rechtsbeistand Jörg Fritsch vom VdK Würzburg. Dem Gericht müssten Verfahrensfehler oder Verstöße gegen die aktuelle Rechtssprechung des BSG nachgewiesen werden. "Das sehe ich nicht", sagt er.
Anders ist die Situation bei der Therapie mit Lutetium 177. Hier steht das Hauptverfahren noch aus. In einem Eilverfahren im Frühjahr 2017 hat das Sozialgericht Würzburg aber entschieden, dass die AOK vorläufig die Kosten für zwei Behandlungen zu zahlen hat. Beim Hauptverfahren warten die beteiligten Seiten auf ein Gutachten, das das Landessozialgericht angefordert hat. "Es wurde ein Gutachten in Auftrag gegeben, ob Lutetium die letzte mögliche Behandlungsoption ist", fasst Fritsch zusammen. Auf diesem Gutachten ruhen die Hoffnungen der Kläger. Für den Fall, das Freibott vor dem Prozess wieder eine Behandlung braucht, wolle man erneut eine vorläufige Kostenübernahme erwirken.
Lutetium 177 hat einen anderen medizinischen und rechtlichen Status als die Thermo-Chemo. Laut Auskunft des Gemeinsamen Bundesausschusses ist das Medikament seit Oktober 2017 von der Nutzenbewertung freigestellt. Das heißt: "Man hat sich bewegt. Man ist auf dem Weg, Lutetium zu einer Regelleistung zu machen", erklärt die Bundestagsabgeordnete und Juristin Manuela Rottmann (Grüne) aus Hammelburg. Sowohl sie, als auch andere Fachleute aus dem Gesundheitswesen argumentieren, dass die Krankenkassen damit grundsätzlich rechtlichen Spielraum haben, die Behandlung für austherapierte Patienten zu bezahlen.