Zeitgeschichte: Sportstätte im Schondratal
Autor: Ulrike Müller
Detter, Donnerstag, 14. Januar 2016
Ein olympisches Dorf im Landkreis? Gar vor den Toren Bad Brückenaus? Undenkbar. Tatsächlich sollte kurz nach dem 2. Weltkrieg eine Sportstätte im Schondratal bei Detter entstehen. Zeitzeuge Erich Keßler kann sich noch genau an das Projekt erinnern.
Auf den Stufen liegt nasses Laub. Die kurze Treppe im Wald zwischen Detter und Schwärzelbach ist das Einzige, das dem unbedarften Wanderer verrät, dass hier im Schondratal mal etwas Großes geplant war. Ein paar Schritte weiter schreitet Erich Keßler Meter für Meter ab. "Hier stand das erste Gebäude", sagt der 80-Jährige. "1947 war die Grundsteinlegung. Ich kann mich noch genau daran erinnern. Ich war mit meinem Vater dort."
Die Treppe gehörte zum Verwalterhaus, etwas abseits. Das andere Gebäude, das Keßler noch förmlich vor sich sieht, war das Sportheim. "Der Rohbau war gestanden, verputzt innen und außen, und verschindelt. Sogar die Heizkörper waren zum Teil schon montiert", erinnert sich der alte Mann. Dann blickt er über die Wiesen hin zur Schondra. "So sieht man etwas anfangen und zu Ende gehen." Es schwingt Wehmut mit in seiner Stimme, und eine Nachdenklichkeit. Dabei hatte alles so verheißungsvoll begonnen.
Prestigeprojekt des Deutschen Sports
"Ein ,olympisches‘ Dorf in der Rhön!" feierte die Main-Post am 20. Oktober 1949, "Ein modernes Märchen, oder das Sportparadies in der Rhön!", schrieb die Frankfurter Neue Presse in der Nachtausgabe vom 19. Oktober 1949. Eine Broschüre, die noch heute im Stadtarchiv anzuschauen ist, pries die "Erholungs-, Lehr- und Trainingsstätte des deutschen Sports". Die Unterstützer durchweg namenhaft: Der Präsident der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Sport Heinz Lindner, der Präsident des Nationalen Olympischen Komitees Herzog Adolf Friedrich zu Mecklenburg, Bundespräsident Theodor Heuss und die Oberbürgermeister von Berlin und Frankfurt. Mit dem Bau wollten die Sportverbände an den Erfolg skandinavischer Trainingslager anknüpfen, zwei Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg. Finanziert wurde die Sportstätte vor allem durch Unternehmerspenden. Und da fällt der Name, der dem Projekt zum Verhängnis wurde. "Seine Mutter war eine gebürtige Detterin", erzählt Keßler. Ihr Sohn sei kriegsversehrt gewesen und habe einen Klumpfuß gehabt. Er war der Organisator, der Mann, der die Gelder beibrachte. "Das Vorhaben wurde eingestellt", berichtet Roland Heinlein vom Stadtarchiv Bad Brückenau, "wegen Intrigen, mangelnder Unterstützung und persönlicher Unzulänglichkeit."
Protest der Detterer
Der Brückenauer Anzeiger meldet am 8. September 1950 die Verhaftung des Initiators. Im Frühling 1951 findet der Prozess statt. Die Detterer indes sehen die Hoffnung auf wirtschaftliche Belebung dahinschwinden. In einer Bürgerversammlung im Oktober 1950 rügen sie die bundesweite "Pressecampagne" gegen ihn und sprechen sich einstimmig dafür aus, an den Plänen festzuhalten. Sogar Telegramme nach Berlin, München und Würzburg bringen die Detterer auf den Weg. Es nutzte nichts. "Er wurde zu einem Jahr und sechs Monaten Gefängnis und einer Geldstrafe von 20.000 Mark verurteilt", erzählt Heinlein vom Stadtarchiv."Die Gebäude wurden noch bis 1962 bewacht", erzählt Keßler. Danach verfielen sie zusehends, heute gehört das Grundstück dem Landkreis Bad Kissingen.Vor drei Jahren, so erzählt Erich Keßler, soll der frühere Initiator noch einmal hier gewesen sein. Was macht einer, wenn er nach so langer Zeit in die Rhön zurückkehrt? Er bestellt in der Metzgerei in Weißenbach. Und er lässt sich noch einmal in den Wald fahren, wo einst ein junger Mann große Träume hatte.
"Vielleicht hätte er sich an mich erinnert", sagt Keßler. An den kleinen Bub, der die Kühe auf die Weide führte und Tag für Tag die Baustelle beobachtete, damals, kurz nach dem Krieg. Dann wandert sein Blick wieder auf das, was hätte sein können. Aber nie geworden ist.