Verständnis contra Biker-Freiheit
Autor: Stephanie Elm
Motten, Mittwoch, 26. Mai 2021
Eine wegen der Kurven beliebte Rennstrecke für Motorradfahrer ist die Straße zwischen den Mottener Ortsteilen. Spontan kam Chris auf die Idee, auffällige Fahrer einfach mal anzusprechen und nach den Gründen für ihr Fahrverhalten zu fragen. Und er hofft auf Einsicht.
Die Sonne scheint, die Vögel zwitschern, eine sanfte Brise streicht über die Haut, doch die lang ersehnten Frühlingszeichen gehen unter in Motorradlärm. Für die Mottener ist das nichts Neues, gerade an schönen Tagen bebt der Asphalt zwischen den Ortsteilen. Hunderte Motorradfahrer kommen teils weit angereist, um die Kurven zu genießen. Hier und auch an anderen Stellen beobachtet Chris nicht nur mehr, sondern auch immer rücksichtsloser fahrende Biker.
Motorradfahren eine Lebenseinstellung
"Ich verstehe die Anwohner hundertprozentig", sagt der 40-Jährige, der selbst passionierter Chopper-Fahrer ist. "Aber es sind geschätzt nur zehn Prozent der Biker, die Probleme bereiten" durch schnelles Hin- und Herfahren und Entfernen des dB(Dezibel)-Eaters, einem Teil des Schalldämpfers, wodurch das Bike lauter fährt. "Was stört, sind die Hochfrequenztöne. Das ärgert mich", denn Chris will mit diesen zehn Prozent nicht in eine Schublade gesteckt werden. "Biker sind eigentlich ganz feine Kerle", weiß der Wildfleckener, der die "Christian Motorcyclist Assocation" (CMA) unterstützt. Seine Motorradjacke erzählt davon, auch, dass er keinem Motorradclub angehört, und Respekt, auf der Straße und im Leben allgemein, einfordert: "Give respect to get respect" (frei übersetzt: Respektiere, um Respekt zu erhalten). Motorradfahren ist für ihn weit mehr als ein Hobby: "Es ist eine Lebenseinstellung." Er selbst hat als Motorradfahrer nur positive Erfahrungen gemacht: "Wenn ich eine Tour fahre, winken mir die Omis zurück."
Polizei sieht Bemühungen positiv
Ganz spontan kam Chris im vergangenen Jahr auf die Idee, während einer Pause auffällige Fahrer einfach mal anzusprechen und nach den Gründen für ihr Fahrverhalten zu fragen. "Gute Gespräche über Gott und die Welt, Maschinen und Fahrverbote" führte er, weiß aber auch: "Ich mache mir damit keine Freunde." Genervte Biker fahren irgendwann einfach weiter, viele bleiben uneinsichtig. Von den insgesamt circa 50 Bikern, die Chris angesprochen hat, hat er nur bei einem das Gefühl, dass er mit seinen Fragen einen Punkt getroffen hat, der Fahrer die Welt und die Straße nun anders sieht und sein Verhalten ändert. Die meisten Gespräche verhallen im Motorensound. Was bleibt, ist die Hoffnung auf Einsicht. Seine Bemühungen sieht die Polizei positiv. "Ziviles Engagement, Courage und Prävention" seien wichtig und unterstützen die Bemühungen der Polizei.
Einsicht bei den Bikern?
Den Beamten der Polizeiinspektion (PI) Bad Brückenau fielen in Kontrollen hauptsächlich technische Veränderungen an den Fahrzeugen, wie etwa das Entfernen des dB-Eaters auf. "Unnützes Hin- und Herfahren" ist zwar eine Ordnungswidrigkeit, jedoch nur innerorts. "Auf Augenhöhe" haben sich auch zwischen den kontrollierenden Beamten und den Bikern Gespräche entwickelt, oft hätten sich die Motorradfahrer einsichtig gezeigt.
"Freie Entfaltung der Persönlichkeit"
Die Biker haben Verständnis, auf jeden Fall. Doch kommen Gegenargumente á la Fünf-Tage-Woche, Spaß haben, abschalten können, die Beschleunigung, das Fahrgefühl, das Brummen, ... einfach Freiheit. Nachdem hier ein so griffiger Straßenbelag vorliege und ein junger Fahrer mit seinem teuren Bike kostenlos wie auf einer Rennstrecke fahren könne, will er seinen Spaß haben. Spaß, so gibt er ganz offen zu, heißt für ihn: "So lange die Kurven rauf- und runterfahren, bis der Tank leer ist." Fahrverbote an Sonn- und Feiertagen sieht er nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, sie behinderten die "freie Entfaltung der Persönlichkeit".
Chris ist zwar auch gegen Fahrverbote, "aber 20 Mal eine Strecke rauf- und runterfahren, das geht gar nicht", distanziert er sich von den besagten zehn Prozent der Biker und bedauert den Verlust der Motorrad-Gemeinschaft. Die Ellenbogengesellschaft mache sich breit, unter Bikern werde immer weniger gegrüßt: "Es ist alles auf Speed ausgelegt", die Geschwindigkeitsbegrenzung von 70 km/h um die Mottener Höhe nützt da wenig. Er meidet schon diese Strecke, sie ist ihm mittlerweile zu voll. Dennoch möchte Chris weiterhin "Präsenz zeigen und Anstoß geben".
Hintergrund
2020 gab es im Bereich der Polizeiinspektion (PI) Bad Brückenau zwei Kontrollaktionen mit dem Schwerpunkt "Motorrad", genau wie im Jahr zuvor, heißt es aus dem Polizeipräsidium Unterfranken. Hauptsächlich wurden technische Veränderungen, vor allem an der Auspuffanlage, festgestellt, was das Erlöschen der Betriebserlaubnis, ein Bußgeld und Punkte in Flensburg nach sich zieht. Bei gravierenden Verstößen, wie das Entfernen des dB-Eaters wurde die Weiterfahrt untersagt.
Elf Verkehrsunfälle mit Motorrädern und Leichtkrafträdern zählte die PI Bad Brückenau im vergangenen Jahr. In diesen Unfällen gab es zwei Schwer- und sechs Leichtverletzte, glücklicherweise keine Todesfälle. Allerdings seien die Zahlen aus 2020 wegen der Corona-Beschränkungen nicht repräsentativ. Auf Grund der Ausgangsbeschränkungen waren Spritztouren mit dem Bike nicht erlaubt. 2019 lag die Zahl bei 18 Unfällen, 16 mit Personenschaden. Acht Fahrer wurden schwer- und 14 leicht verletzt, ein Motorradfahrer starb.