Stolpersteinverlegung in Bad Brückenau: Erinnerung wird fassbar
Autor: Steffen Standke
Bad Brückenau, Donnerstag, 28. Oktober 2021
Mit der Verlegung von Stolpersteinen rücken weitere unter den Nazis ermordete Juden aus Brückenau in den Fokus.
Vorsichtig, fast zärtlich, wischt Gunter Demnig mit einem Taschentuch die Messingtafeln sauber. Gerade hat der Kölner Künstler sie in den Asphalt des Fußwegs vor der Einfahrt zum Anwesen Wernarzer Straße 8 im Staatsbad eingelassen - unter den Augen vieler Menschen und nachdenklichen, manchmal dramatischen Gitarrenklängen von Pfarrer Gerd Kirchner.
20 Minuten später wird der Mörtel um die Tafeln ausgehärtet sein. Eine feste Erinnerung an die jüdische Hoteliersfamilie Strauß, die im Holocaust von den Nazis ausgelöscht worden war (wir berichteten).
Es war der zweite Teil der groß angelegten 4. Verlegung von Stolpersteinen in Bad Brückenau. Begonnen hatte sie an der alten Hauptpforte des Pflegeheims Schloss Römershag, wo Demnig zur Musik des Schüler-Quartetts "Degand" zwei Stolpersteine - ebenfalls sorgfältig - verlegte. Sie erinnern an die ehemaligen Bewohnerinnen Therese Wittekind und Julie Nordschild.
Die durch ihren Glauben und ihre Behinderung doppelt gebrandmarkten Frauen aus Bad Kissingen und Schweinfurt fielen höchstwahrscheinlich dem sogenannten Euthanasie-Programm (systematische Ermordung von mehr als 70 000 Menschen mit körperlichen, geistigen und seelischen Behinderungen in Deutschland 1940/1941, heute T4 genannt) zum Opfer. An der damaligen Heil- und Pflegeanstalt Römershag begann ihre Reise in den Tod.
Den wohl emotionalsten Moment der Feierstunde lieferte Roberto Ranelli. Der Pflegeheimleiter versuchte, die geschätzt 100 Zuhörer in die Gefühlswelt der beiden jüdischen Frauen mitzunehmen. "Wir können nicht wissen, inwieweit sie in der Lage waren, das zu verstehen, was mit ihnen geschieht. Aber ganz sicher hatten sie ab einem gewissen Zeitpunkt furchtbare Angst."
Ranelli weckte, Vorstellungen vom letzten Weg Wittekinds und Nordschilds: das in einem Zug mit Hunderten anderer weinender und schreiender Menschen Sitzen. Die Mischung aus Angst, Hunger und Durst. Das Fehlen einer tröstenden Stimme oder Hand.
Der 54-Jährige sah die Stolpersteine als "Zeugnis der furchtbaren Jahre von 1933 bis 1945 und Mahnmal für alle zukünftigen Generationen". Im Pflegeheim halte man es für "unsere Pflicht und Verantwortung, immer wieder an das Unrecht von damals zu erinnern".