Druckartikel: Spuren eines Nobelpreisträgers in Bad Brückenau

Spuren eines Nobelpreisträgers in Bad Brückenau


Autor: Ulrike Müller

Bad Brückenau, Sonntag, 13. Oktober 2013

Die Heilquellen haben schon zahlreiche Persönlichkeiten nach Bad Brückenau geführt. Als Samuel Joseph Agnon 1917 hierher kam, wusste er noch nicht, dass er einmal mit dem Literatur-Nobelpreis ausgezeichnet werden würde. Und wer weiß, vielleicht hätte er ihn ohne diesen Besuch auch nie bekommen...
Diese historische Postkarte fand Professor Dan Laor von der Universität Tel Aviv im Nachlass Agnons. Er nahm sie zum Anlass für einen Besuch.


Der Mann hatte es erfasst: " ...in der Sommerzeit trägt Katznau ein besseres Gesicht", schrieb Samuel Joseph Agnon in seiner Kurzgeschichte "Zwischen zwei Städten", die im Jahre 1946 veröffentlicht wurde. Weiter heißt es dort: "Diese kleine Stadt, zwischen Bergen eingebettet, [ ... ] hat ei ne Zwillings-Schwester, Katznau-Bad, wo Heilquellen aus der Erde sprudeln. Aus dem ganzen Lan de kommt man dorthin, um sein Wasser zu trinken und Bä der zu nehmen."

Die Rede ist - wie könnte es anders sein - von Bad Brückenau. Agnon kam hierher, um sich von seinen ge sundheitlichen Leiden zu erholen. Das war im Jahr 1917. Und im Jahr 1918. Und im Jahr 1920, diesmal auf Hochzeitsreise. Fast 100 Jahre später reist ein anderer Mann in die Kurstadt: Dan Laor. Er ist Professor für Literatur an der Universität Tel Aviv. Im Sommer 2012 hält der Spezialist für jü di sche Literatur, die einen deutschen Ursprung hat, in Frankfurt einen Vortrag und nutzt seine Reise für einen Ab stecher in die Kurstadt. Sein Fazit: In Bad Brückenau ist alles beim Alten - nur die Juden feh len.

Portrait jüdischen Lebens

Die Juden. Anfang des 20. Jahrhunderts gab es sie noch in Bad Brückenau. In seiner Geschichte beschreibt Agnon das jüdische Leben, wie er es wohl selbst erlebt hat: " ...da der Sab bat lang und nichts an ihm zu tun ist , so nimmt man seine Frau und seine Söhne und Töchter, geht und macht zusammen einen Spaziergang zwischen Bäumen und Gärten, Blumen und Badegästen, erblickt neue Gesichter und vernimmt hörenswerte Din ge." Während der Sommermonate war es bei den Juden des Ortes Tradition, ihren Sabbat in Katznau-Bad zu verbringen. Bis diese Tradition ein jähes Ende fand - so jedenfalls erzählt es Agnons Geschichte.

Fast 100 Jahre später kauft sich der Literatur-Professor La or in der Tourist-Info den "Stadtspaziergang", der zur 700-Jahr-Feier erschienen ist. Das Buch beschreibt die Orte des jüdischen Lebens in Bad Brückenau: Die jü dische Schule in der Unterhainstraße, die Synagoge im Alten Schlachthofweg, alte jüdische Gräber auf dem Waldfriedhof. Laor schaut sich alles an, macht Bilder von Gedenk-Tafeln. Später wird er sich die Worte von Roland Heinlein vom Kultur-Büro im Wortlaut schicken lassen. Aus den Nachforschungen des verstorbenen Pfarrers Ul rich Debler weiß Heinlein al lerhand über das Ju dentum in der Kurstadt zu be richten. Und langsam fügt sich im Kopf des Professors alles zu einem Bild ...

Kur gegen die Schreib-Blockade

Als Agnon im Juli 1917 in Wer narz sein Zimmer bezog, hatte er starke gesundheitliche Probleme, vor allem mit der Niere, weshalb ihm ein Freund das Heilbad empfahl. Laor vermutet, dass der junge Autor sich vor dem Kriegsdienst drücken wollte. Doch der erste Weltkrieg belastete nicht nur seinen Körper, er drückte ihm auch auf die Seele. Agnon litt unter einer Schreib-Blockade. Die Hölle für einen, der erst durch Worte lebt. Aber Briefe schrieb er, zum Bei spiel an seinen Freund und Gönner Salman Schocken. Der jüdische Verleger aus Zwickau, der später in Berlin den Schocken Verlag gründete, hatte ihn hierher geschickt. "Es ist sehr einsam, aber Bad Brü ckenau ist genauso wie im Prospekt", schrieb Agnon in sei nem ersten Brief.

Diese Briefe - darunter eine Postkarte vom Fotogeschäft Bott, die eine Ge sellschaft beim Pavillon im Staatsbad zeigt - brachten Laor auf die Spur. Dass mit den zwei Städten aus der Kurzgeschichte Bad Brückenau gemeint ist, war schon länger bekannt. Und auch der Aufenthalt Agnons in der Kurstadt ist be legt. "Samuel Jos. Czarkes" meldete er sich am 19. Juli 1917 als Kurgast im Staatsbad an, be richtet Heinlein. Laut der Kurliste des Jahres 1917, die im Staatsarchiv Würzburg lagert, logierte er bei Josef Henkel in Wernarz (Listennummer 3043).

Aber zurück zur Geschichte. Die Idylle fand ihr Ende, als Isi dor Schaltjahr auf den Plan trat. Der Vorschullehrer aus Frankfurt kurte in Katznau-Bad. Dabei strebte Schaltjahr nach Hö herem, "aber jeden Ge danken von auch nur irgendwelcher Bedeutung hatten andere ihm schon vorweggenommen und ihm nur Gedanken an Essen und Trinken gelassen." Das tat Schaltjahr auch ausgiebig, und damit ihm nicht der Magen schwer wurde, pflegte er lange Spaziergänge zwischen Bad und Stadt zu unternehmen.

Damit ihm auf diesen Gängen nicht langweilig wurde, zählte Schaltjahr seine Schritte. Und Telegrafendrähte. Und Schritte. Schließlich zählte er Ellen - und stellte fest, "daß die Entfernung [zwischen Katznau und Katznau-Bad; Anm. d. Red.] über das für den Sabbat erlaubte Maß hinausging". Natürlich hatte Schaltjahr nichts Eiligeres zu tun, als die jüdische Gemeinde auf diese "schwere Sünde" hinzuweisen. Und damit waren die unterhaltsamen Spaziergänge am Sabbat passé.

Werbung für die Kurstadt

So nimmt die Geschichte der Ju den von Katznau ein trauriges Ende. Bad Brückenau erinnerte Agnon an die "Schtetl" [jiddisch für "Städtchen"; Anm. d. Red.] seiner Kindheit, berichtet Laor. Vielleicht war das der Grund, warum Agnon 1918 ein zweites Mal nach Bad Brückenau kam, ganze vier Monate lang. Nicht nur sein Gesundheits zustand bes serte sich, auch die Schreib-Blo ckade fiel von ihm ab. Während seiner Kur arbeitete er an einem Roman über die Makkabäer. Zwei Jahre später heiratete er Esther Marx, die Tochter eines Rabbis aus Berlin. Für seine Flitterwochen wählte Agnon die kleine Kurstadt aus, suchte sogar hier eine Wohnung.

"Anscheinend hatte er vor, sich in Bad Brückenau niederzulassen", vermutet Laor. Das gehe zumindest aus dem Briefwechsel mit Salman Schocken hervor. In seiner letzten Karte aus Bad Brückenau schrieb Ag non, dass ihm der Abschied schwer falle. Das Verhältnis des Nobelpreisträgers zur un terfränkischen Kurstadt lag bisher im Dunkeln. Nun lüftet Laor das Geheimnis: Agnon hatte eine be sondere Beziehung zur Kurstadt. "Er hat Bad Brückenau lieb gewonnen", lautet die Ein schätzung des Professors.

Schweren Herzens packte Ag non also seine Koffer und ging fort. Zunächst lebt er mit seiner Frau in Wiesbaden, später in Bad Homburg. 1924 siedelte das Paar - beide überzeugte Zio nisten - nach Palästina über. 1934 emigrierte auch Salman Schocken angesichts der Nazi-Herrschaft ins heutige Israel und baute die Tageszeitung Ha'Aretz auf, die heute eine der wichtigsten jüdischen Zeitungen ist.

Dort erschien unlängst ein Artikel unter der Überschrift: In Bad Brückenau ist alles beim Al ten - nur die Juden feh len. Der Autor: Professor Dan Laor. In seinem Artikel empfiehlt er den Lesern, die Kurstadt zu be suchen. Für Israelis sei es wertvoll, die Geschichte von den zwei Städten zu lesen und dann selbst nach Bad Brückenau zu reisen. Aber nicht nur dafür dürfte sich ein Besuch in der Kurstadt lohnen, schließlich schreibt Agnon nicht umsonst über Isidor Schaltjahr: "Seit er den Mutterleib verlassen hatte, war es ihm nicht so gut gegangen wie in den Tagen, die er in Katz nau verbracht hatte."