Nach dem Brückenauer Frühlingskonzert mit guter Laune nach Hause
Autor: Thomas Ahnert
Bad Brückenau, Montag, 07. April 2014
"Ein kluger Denker" hatte das Brückenauer Kammerorchester sein Frühlingskonzert überschrieben.
Man stutzt eigentlich schon, bevor man den König-Ludwig-I.-Saal betritt, bleibt hängen an dem Titel, den die Brückenauer ihrem Frühlingskonzert gegeben haben: "Ein kluger Denker". Was soll uns das sagen? Würde man ein Konzert auch mit einem "dummen Denker" anbieten? Wer ist dieses Genie?
Ein Blick auf das Titelbild des Programmhefts gibt Auskunft: Goethe ist gemeint! Das sieht man doch auf den ersten Blick! Es ist das berühmte Bild von Tischbein, das den jungen Dichter auf seiner Italienreise zeigt: Goethe sitzt bedeutungsbewusst-entspannt inmitten römischer Trümmer, den weißen weiten Mantel über das ausgestreckte Bein geworfen und schaut sinnend in die klassische Ferne. Aber es stimmt nicht. Der echte Goethe von Tischbein stützt den rechten Ellenbogen auf und schaut auch nach rechts aus dem Bild.
Dieser Mensch sitzt genau anders herum, hält außerdem in der linken Hand Geige und Bogen und schaut dem Betrachter ins Gesicht.
Das Rätsel lässt sich lösen: Unter dem breitkrempigen Hut steckt der Kopf von Kolja Lessing, dem Solisten des Abends. Aha, sagt man sich, der ist also der kluge Denker. Da lässt man sich doch gerne überraschen.
Mag sein, dass er wirklich gemeint war, aber der Stuttgarter Geigenprofessor brauchte einen Anlauf, der sich mit einem Namen beschreiben ließ: Joseph Haydn und sein Violinkonzert A-Dur, das Lessing, wie er betonte, besonders liebt - das sei ihm auch unbenommen. Es ist von den ursprünglich elf Konzerten dasjenige der drei erhaltenen, das am seltensten aufgeführt wird.
Und das hat auch einen Grund: Es steckt musikalisch nicht allzu viel in diesem dreisätzigen Konzert drin, das zwar den prägenden Einfluss von Carl Philipp Emanuel Bach verrät, aber klanglich eher in der Nachbarschaft von Luigi Boccherini angesiedelt ist (das Orchester machte das sehr schön deutlich). Haydns A-Dur-Konzert ist geprägt von vielen Wiederholungen weniger bewährter Ideen und von einem erstaunlich ausgeprägten virtuosen Aspekt. Damit war Kolja Lessing ausreichend beschäftigt, spielte etwas buchstabierend die Noten vor ihm auf dem Blatt.
Stilistisch unentschieden
Was irritierte, war, dass er sich stilistisch nicht festgelegt hatte.
Die vielen Verzierungen spielte er fast immer sehr genau, immer sehr trocken, aber die langen melodischen Töne waren so stark romantisch vibriert, dass sie in die Nähe von Trillern rückten und damit die Verzierungen letztlich entwerteten. Das Konzert ist technisch nicht so schwer, dass man sich als Interpret keine Freiräume zur Gestaltung schaffen könnte. Es ließ sich eigentlich nichts erkennen, was Lessing mit seiner Musik erzählen wollte.
Das war auch so bei seinen beiden Zugaben noch vor der Pause, weniger bei Mendelssohn-Bartholdys "Jägerlied", einer Bearbeitung aus den "Liedern ohne Worte" als bei dem Präludium zu Johann Sebastian Bachs E-Dur-Partita für Violine solo. Sie wirkt mit ihren rasanten Arpeggien natürlich spektakulärer als sie ist.
Aber sie hätte noch spektakulärer gewirkt, wenn sie nicht nur gespielt, sondern auch dynamisch und agogisch ein bisschen gestaltet gewesen wäre.
Das war noch nicht der kluge Denker, aber der kam - im zweiten Teil des Konzert, bei der etwa zwölfminütigen Fantasie "A une Madone" von Dimitri Terzakis für Violine und Streichorchester von 2007, das der Geiger Sergiu Nastasa im gleichen Jahr in Peking uraufgeführt hat: Aber: Terzakis hat das Werk Kolja Lessing gewidmet, der 2009 (nach einer Überarbeitung) die deutsche und damit wohl auch europäische Erstaufführung gespielt hat, und das merkt man. Denn Lessing hat sich sehr intensiv mit dem Werk auseinandergesetzt, mit den technischen Erfordernissen des höchst empfindlichen Soloparts, aber auch mit den Inhalten, mit den Emotionen, die die Musik transportiert.
Man muss nicht wissen, dass dem Werk das gleichnamige Gesicht aus Charles Baudelaires "Les fleurs du Mal" zugrunde liegt, um es zu genießen.
Klingende Weiten
Terzakis ist ein Komponist, der dem Melodischen noch große Bedeutung beimisst, auch wenn sein Hauptanliegen wohl war, nahöstliche Harmonien mit der europäischen Ästhetik zu verbinden. Dabei entstanden wunderbare Klangbilder starker Farbigkeit und räumlicher Weite. Die Lessing und das Orchester mit delikater Feinfühligkeit entwickelten. Eine sehr schöne, spannende Idee des Komponisten war es dabei, den Kontrabass als "Sprecher der Gegenpartei" zum herausgehobenen Partner des Solisten zu machen - entspanntes, interessantes Musizieren, bei dem man bedauerte, dass es nur sehr kurz war.Dennoch - und gerade wegen Terzakis und der Gestaltung durch das Orchester - war Kolja Lessing an diesem Abend nur der zweitklügste Denker.
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Punktsieger waren Johannes Moesus und seine Truppe nicht nur wegen der Heiterkeit des Musizierens, sondern auch wegen der Auswahl eines durchweg kurzweiligen Programms. Mit bewegter Dynamik wurde in der Sinfonie G-Dur KV 74 in charmanter Weise deutlich, was der 14-jährige Mozart alles noch lernen und an Floskelhaftigkeit ablegen musste, um am Ende zu einer "Jupitersinfonie" zu gelangen. Bei Frank Bridges "Sally in Our Alley", Romantik klarsten Wassers trotz des Entstehungsjahres 1916, zelebrierten die Brückenauer die sonore, ganz spezielle Kraft des Streichorchesters, die sich kontinuierlich aufbaute. Und das abschließende Werk war kein dramatischer Zeigefinger, sondern eine echte Gute-Laune-Musik: die Streicherserenade op. 11 des Schweden Dag Wirén von 1937, mit leichter Hand gespielt, mitreißend pulsierend und einem gelegentlichen Augenzwinkern, wurde zu einem sympathischen Rausschmeißer. Und niemand war vor Schreck erstarrt, dass alle drei Werke des zweiten Teils aus dem sonst doch so gefürchteten 20. Jahrhundert stammten. Na gut, die Zugabe war deutlich älter: Haydns Finalsatz aus der A-Dur-Sinfonie Hob.I:59.