Mitgenfeld: "Ein Pferd straft nicht"
Autor: Julia Raab
Mitgenfeld, Mittwoch, 11. August 2021
Menschen mit Behinderung lernen bei Christine Beck mehr als nur reiten. Im Umgang mit dem Pferd kommen sie in Kontakt mit sich und der Umwelt. Die Therapiepferde sind besonders feinfühlig.
Die Freude bleibt Laura Martin die ganze Reitstunde ins Gesicht geschrieben. Die 23-Jährige macht alle Übungen stolz mit, die ihr Reitlehrerin Christine Beck aufträgt, während sie das Pferd führt. Laura hält einen Ball in der Hand und streckt ihn nach oben, zur Seite, dann wechselt sie zum anderen Arm.
Der Rücken der jungen Frau ist kerzengerade. Sie sitzt ohne Sattel auf der erfahrenen Anni, eine Haflinger-Stute, die ganz aufmerksam und vorsichtig über den Hof trottet. Das Becken wippt langsam und gleichmäßig hin und her. Laura leidet seit ihrer Kindheit unter schweren Spastiken und ist geistig eingeschränkt.
Wärme lockert
"Die wippende Bewegung beim Reiten ist wie passives Gehen", erklärt Reittherapeutin Beck. Das sei besonders gut für körperlich beeinträchtigte Menschen. Denn die Bewegung wirke sich unter anderem positiv auf die Tiefensensibilität und das vegetative Nervensystem aus. Außerdem lockere die Wärme der Pferde die Muskulatur beim Menschen.
Familie Beck hat einen eigenen Reitbetrieb in Mitgenfeld, den Schlehen-Hof. Seit ihrem Studium der Sozialarbeit beschäftigt sich Christine Beck mit Pferden. "Ich hatte das Glück eine Reitlehrerin zu haben, bei der nicht nur der sportliche Teil wichtig war, sondern auch das Tier im Vordergrund stand", sagt Beck.
Arbeit in Natur
Ihr Traum war es schon immer, die Arbeit mit Menschen und die mit den Pferden zusammenzubringen. Mit den ersten eigenen Pferden 1998 absolvierte die Diplom-Sozialpädagogin Fortbildungen im Therapeutischen Reiten. Ihre weiteren Schwerpunkte sind heute Kinderspiel- und Reitgruppen. Außerdem fährt sie regelmäßig mit einem Pferd zur Katharinen-Schule der Lebenshilfe Schweinfurt in Fuchsstadt.
Hier oben, am Rand der Pilsterköpfe, arbeitet Beck in Ruhe mit Pferd und Mensch in der Natur. "Es gibt immer mehr Kinder, für die beispielsweise ein Wald Neuland ist", sagt sie. Kinder mit Aufmerksamkeitsstörungen oder Aggressionsproblemen lernen hier im günstigen Fall, sich einzulassen, Selbstvertrauen aufzubauen und gemeinsam etwas zu schaffen. "Pferde können sich nicht verstellen, rächen sich nicht und strafen nicht", fügt die Reittherapeutin noch hinzu. Das sei für viele Kinder eine neue Erfahrung.
Pferde spüren anders
Hier passieren immer wieder beeindruckende Erlebnisse: "Da gab es mal ein junges, sehr aggressives Mädchen, vor dem viele Angst hatten", erzählt Beck. Es habe wenig Selbstbewusstsein gehabt und besonders Angst vor den Pferden. Ein Fohlen, das noch nicht am Halfter ging, sah in dem Mädchen vermutlich etwas und legte sich direkt vor das Mädchen hin. "Das war sehr bewegend, wie das Kind schließlich erstmal lange und ausführlich das Fohlen streichelte und nach und nach die Angst verlor."