Die jungen Hergenröders konnten sich ein Leben in der Rhön nicht vorstellen. Jetzt haben sie sich mit zwei Gasthäusern in Geroda und Stralsbach eine Zukunft gebaut.
Im Nebel könnte man Stralsbach fast übersehen, da es sich nahtlos ins Miniatur-Tal schmiegt. Hier meint man, der Zeit beim Stillstehen zusehen zu können. Das stimmt aber nicht. Vor allem in der Dorfmitte wird an der Zukunft gearbeitet, beziehungsweise gekocht. Es geht um die Familie Hergenröder. Um Vater Thomas (55) und Mutter Arnita (58), die dachten, sie müssten die Traditionsgaststätte "Zum Weißen Rössl" schließen: Sohn Michael (25) und Tochter Verena (29) hatten keine Lust, das Rössl in die nächste Generation zu führen. Das war einmal. Michael und Verena sind zurück - und bauen mit dem Wirtshaus "Die Böll" zusätzlich in Geroda an der Zukunft. Ohne explizite Schnitzelkarte, dafür aber auch mal mit einem Cross-over Rhön-Asien.
Normal ist in der Rhön, dass Wirtshäuser geschlossen werden und nicht, dass sie neu eröffnen. Thomas Hergenröder versteht die, die den Herd stilllegen: "Früher haben wir selbst geschlachtet - das dürfen wir nicht mehr. Es gibt so viele Auflagen, die wir kaum noch erfüllen können. Dazu hat sich der Konsum verändert: Außendienstler holen sich heute ein belegtes Brötchen vom Imbiss, das mit sieben Prozent Mehrwertsteuer verrechnet wird. Wir müssen 19 Prozent zahlen - und der Außendienstler hat heutzutage keine Zeit mehr, sich zum Essen hinzusetzen." Und auch, dass jedes Dorf ein Bürgerhaus hat, bemerken die Gastwirte. "Früher hat man sich im Wirtshaus getroffen - jetzt gehen die Leute ins Bürgerhaus." Es sind viele Faktoren, die das Wirtshaussterben begünstigen. Und dass der Nationalpark Rhön vom Tisch ist, hat Wirte wie die Hergenröders eher geängstigt - sie hätten sich auf die Touristen und Wanderer gefreut.
Einzige Übernachtungsmöglichkeit
Die Wanderer dürften den Hergenröders dankbar sein: Zwischen dem Bad Kissinger Bahnhof und dem Kreuzberg, so sagen sie, sind sie mit vier Pensionszimmern in Stralsbach die mittlerweile einzige Herberge. "Früher gab es Übernachtungsmöglichkeiten in Premich, Langenleiten, Sandberg - alles zu", rechnet Thomas Hergenröder nach.
Dass sein Sohn, der Koch in Bad Kissingen gelernt und sein Wissen in der Stern-Gastronomie in Österreich verfeinert hat, keine Lust auf die Rhön hatte, konnte er ihm nicht verübeln. Schließlich wollte auch er mal etwas anderes werden als Koch beim Vater: Fliesenleger wäre er gerne geworden. Doch die Familientradition sah anderes vor.
Das Wirtshaus wurde 1615 gebaut, 1800 und irgendwas um einen Saal erweitert, schon Thomas' Großvater war hier Wirt. Das Restaurant Anfang des 21. Jahrhunderts: rustikal mit Schnitzelkarte. Ein Wohnzimmer für Stammtische und Wanderer, die viel und vor allem günstig wollten. Keine Zukunft für die Jungen: Michael, der kreativ kochte, und Verena, die eine Ausbildung zur Hotelfachwirtin gemacht hatte und auch nur in besten Häusern unterwegs war.
Einmal um die Welt und dann doch geblieben
Verena zog es 2013 ganz weit weg, nämlich einmal um die Welt, ein Jahr lang. "Eigentlich bin ich nur zurückgekommen, um meine Sachen ein für alle mal zu packen", erzählt sie. Doch nachdem sie die Welt gesehen hatte, merkte sie: So schlecht ist es hier doch nicht. Sie machte ihren Betriebswirt und blieb. Etwa zeitgleich kam Michael aus Österreich zurück. Er wollte nach Hamburg, dort weiterkochen. Doch auch er blieb. "Auch wenn ich mich manchmal frage, was ich wohl noch alles hätte sehen können."
Was Vater Thomas getan hätte, wenn die beiden nicht zurückgekommen wären? "Dann wäre Schluss gewesen", sagt er nüchtern. "Verkaufen kann man das Haus nicht, verpachten macht keinen Sinn", er hätte Angst gehabt, dass Mieter es herunterwirtschaften.