Junge Rhöner: Wirtshausleben statt Wirtshaussterben

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Optimistischer Blick in die Zukunft: Sohn Michael Hergenröder (rechts) mit seinen Eltern Thomas und Arnita. Foto: Susanne Will
Optimistischer Blick in die Zukunft:  Sohn Michael Hergenröder (rechts) mit seinen Eltern Thomas und Arnita. Foto: Susanne Will
Michael Hergenröder vor seinem Ochsenmaulsalat mit confiertem Eigelb mit einer Soße aus Kefir und Petersilienöl. Foto: Susanne Will
Michael Hergenröder vor seinem Ochsenmaulsalat mit confiertem Eigelb mit einer Soße aus Kefir und Petersilienöl. Foto: Susanne Will
 
Das "Weiße Rössl" steht in der Ortsmitte von Stralsbach. Foto: Susanne Will
Das "Weiße Rössl" steht in der Ortsmitte von Stralsbach. Foto: Susanne Will
 
In der Brennstube kriegt man beim Atmen schon einen Seierer: Vater Thomas Hergenröder mit dem frischen Mirabellenschnaps. Foto: Susanne Will
In der Brennstube kriegt man beim Atmen schon einen Seierer: Vater Thomas Hergenröder mit dem frischen Mirabellenschnaps. Foto: Susanne Will
 
Auf ein Foto kriegt man die Familie nicht: Tochter Verena Hergenröder in der Böll in Geroda. Foto: Susanne Will
Auf ein Foto kriegt man die Familie nicht: Tochter Verena Hergenröder in der Böll in Geroda. Foto: Susanne Will
 
Macht alles und ist unentbehrlich: Mutter Arnita Hergenröder, hier beim Rosenkohl-putzen. Foto: Susanne Will
Macht alles und ist unentbehrlich: Mutter Arnita Hergenröder, hier beim Rosenkohl-putzen. Foto: Susanne Will
 
Während vorne einer Reh filetiert, hantiert Michael Hergenröder mit der Pfanne. Foto: Susanne Will
Während vorne einer Reh filetiert, hantiert Michael Hergenröder mit der Pfanne. Foto: Susanne Will
 

Die jungen Hergenröders konnten sich ein Leben in der Rhön nicht vorstellen. Jetzt haben sie sich mit zwei Gasthäusern in Geroda und Stralsbach eine Zukunft gebaut.

Im Nebel könnte man Stralsbach fast übersehen, da es sich nahtlos ins Miniatur-Tal schmiegt. Hier meint man, der Zeit beim Stillstehen zusehen zu können. Das stimmt aber nicht. Vor allem in der Dorfmitte wird an der Zukunft gearbeitet, beziehungsweise gekocht. Es geht um die Familie Hergenröder. Um Vater Thomas (55) und Mutter Arnita (58), die dachten, sie müssten die Traditionsgaststätte "Zum Weißen Rössl" schließen: Sohn Michael (25) und Tochter Verena (29) hatten keine Lust, das Rössl in die nächste Generation zu führen. Das war einmal. Michael und Verena sind zurück - und bauen mit dem Wirtshaus "Die Böll" zusätzlich in Geroda an der Zukunft. Ohne explizite Schnitzelkarte, dafür aber auch mal mit einem Cross-over Rhön-Asien.

Normal ist in der Rhön, dass Wirtshäuser geschlossen werden und nicht, dass sie neu eröffnen. Thomas Hergenröder versteht die, die den Herd stilllegen: "Früher haben wir selbst geschlachtet - das dürfen wir nicht mehr. Es gibt so viele Auflagen, die wir kaum noch erfüllen können. Dazu hat sich der Konsum verändert: Außendienstler holen sich heute ein belegtes Brötchen vom Imbiss, das mit sieben Prozent Mehrwertsteuer verrechnet wird. Wir müssen 19 Prozent zahlen - und der Außendienstler hat heutzutage keine Zeit mehr, sich zum Essen hinzusetzen." Und auch, dass jedes Dorf ein Bürgerhaus hat, bemerken die Gastwirte. "Früher hat man sich im Wirtshaus getroffen - jetzt gehen die Leute ins Bürgerhaus." Es sind viele Faktoren, die das Wirtshaussterben begünstigen. Und dass der Nationalpark Rhön vom Tisch ist, hat Wirte wie die Hergenröders eher geängstigt - sie hätten sich auf die Touristen und Wanderer gefreut.

Einzige Übernachtungsmöglichkeit

Die Wanderer dürften den Hergenröders dankbar sein: Zwischen dem Bad Kissinger Bahnhof und dem Kreuzberg, so sagen sie, sind sie mit vier Pensionszimmern in Stralsbach die mittlerweile einzige Herberge. "Früher gab es Übernachtungsmöglichkeiten in Premich, Langenleiten, Sandberg - alles zu", rechnet Thomas Hergenröder nach.

Dass sein Sohn, der Koch in Bad Kissingen gelernt und sein Wissen in der Stern-Gastronomie in Österreich verfeinert hat, keine Lust auf die Rhön hatte, konnte er ihm nicht verübeln. Schließlich wollte auch er mal etwas anderes werden als Koch beim Vater: Fliesenleger wäre er gerne geworden. Doch die Familientradition sah anderes vor.

Das Wirtshaus wurde 1615 gebaut, 1800 und irgendwas um einen Saal erweitert, schon Thomas' Großvater war hier Wirt. Das Restaurant Anfang des 21. Jahrhunderts: rustikal mit Schnitzelkarte. Ein Wohnzimmer für Stammtische und Wanderer, die viel und vor allem günstig wollten. Keine Zukunft für die Jungen: Michael, der kreativ kochte, und Verena, die eine Ausbildung zur Hotelfachwirtin gemacht hatte und auch nur in besten Häusern unterwegs war.

Einmal um die Welt und dann doch geblieben

Verena zog es 2013 ganz weit weg, nämlich einmal um die Welt, ein Jahr lang. "Eigentlich bin ich nur zurückgekommen, um meine Sachen ein für alle mal zu packen", erzählt sie. Doch nachdem sie die Welt gesehen hatte, merkte sie: So schlecht ist es hier doch nicht. Sie machte ihren Betriebswirt und blieb. Etwa zeitgleich kam Michael aus Österreich zurück. Er wollte nach Hamburg, dort weiterkochen. Doch auch er blieb. "Auch wenn ich mich manchmal frage, was ich wohl noch alles hätte sehen können."

Was Vater Thomas getan hätte, wenn die beiden nicht zurückgekommen wären? "Dann wäre Schluss gewesen", sagt er nüchtern. "Verkaufen kann man das Haus nicht, verpachten macht keinen Sinn", er hätte Angst gehabt, dass Mieter es herunterwirtschaften.

Als die Jungen hier wieder Wurzeln schlugen, packte es die Familie noch einmal an. 2016 pachteten sie in Geroda "Die Böll", eine Gaststätte, in der Verena Hergenröder den Hut aufhat. Und für den Gegenwert eines Einfamilienhauses renovierten sie das Rössl in Stralsbach. Vorne blieb die Wirtshausstube, hinten verströmt ein heller Raum rustikale Moderne. Und in der Küche ist alles anders geworden. Im Rössl kommt nur Bestes aus der Region auf den Teller: "80 Prozent der Produkte kommen aus der Region", sagt Thomas Hergenröder. Das Schwein vom Metzger aus Gefäll, die Rhönforelle aus Riedenberg, die Eier aus der Rhön, Pasta und Burgerbrötchen machen die Hergenröders selbst.

Auszeichnung vom Gault Millau

Qualität kostet. Das hat sich unter alten Stammgästen schnell herumgesprochen, einige suchten sich andere Treffpunkte. Aber das hat sich nicht nur in der Rhön herumgesprochen: "Wir haben Stammgäste bis aus Bamberg." Hier werde jedermann glücklich, der konservative Esser und auch der Feinschmecker, befand der Gault Millau, der die ambitionierte Küche kürzlich auszeichnete.

Ja, das Schnitzel gibt es noch. Aber es gibt auch einen raffinierten Schweinebauch, der mit der asiatischen Zitrusfrucht Yuzu verfeinert ist. In der Küche steht auch Mutter Arnita, deren Name dem Fehler eines Gemeindemitarbeiters geschuldet ist. Ihr Tag beginnt wie der der anderen um 7 Uhr und endet oft erst nach Mitternacht. Bis dahin bereitet sie die Zutaten in der Küche zu, wie zum Beispiel für den traditionsrhöner Ochsenmaulsalat, der mit Kefir und Petersilienöl daherkommt. Nicht zu vergessen das Wildgulasch in der Böll, das vor allem nach Spaziergängen in der windigen Rhön auch die Seele erwärmt.

Und danach gibt's Schnaps, den Thomas Hergenröder selbst brennt. "Und zwar von jedem Obst, das in zehn Kilometer Umkreis wächst", sagt er, also Mirabelle, Kirsch, Quitte, Birne, Apfel und Schlehe. Die zupft die Oma mit ihren 80 Jahren von den stacheligen Hecken. Ohne Familie, da sind sie sich einig, geht es nicht. Und auch wenn es zunächst nicht so aussah, hat Familie Hergenröder einen Weg in die Zukunft gefunden. In der Rhön.