Jüdische Euthanasie-Opfer aus Bad Brückenau: Ein Reise in den "Gnadentod"
Autor: Steffen Standke
Bad Brückenau, Dienstag, 26. Oktober 2021
Erstmals wird in Bad Brückenau zwei jüdischen Opfern des Euthanasie-Programms der Nazis zur "Vernichtung lebensunwerten Lebens" mit Stolpersteinen gedacht. Dazu kommt eine Hoteliers-Familie. Dies sind ihre Schicksale.
Am 14. September 1940 unternahmen Therese Wittekind (geb. 1864) und Julie Nordschild (geb. 1870) eine Reise. Sie taten das nicht freiwillig, im Gegenteil: Die beiden Bewohnerinnen der Heil- und Pflegeanstalt Römershag wurden in den "Gnadentod" geschickt. An dem Ort, wo sie die vermutlich letzten würdigen Tage ihres Lebens verbrachten, wird ihnen an diesem Mittwoch, 14.30 Uhr, ein spätes Gedenken zuteil.
Therese Wittekind wurde am 29. April 1864 in eine Bad Kissinger jüdische Familie hineingeboren. Die Eheleute Salomon und Nanny Wittekind lebten mit ihren vier Kindern in der Zwingergasse. Später kam noch ein Bruder hinzu.
Über Therese Wittekinds Erkrankung ist nichts Näheres überliefert. Sie muss so schwer gewesen sein, dass sie keinen Beruf ausüben konnte. Mieteinnahmen aus einem kleinen Haus in der Bad Kissinger Innenstadt sicherten ihren Lebensunterhalt.
Am 30. Juni 1940 wiesen die Behörden die 76-Jährige in die Heil- und Pflegeanstalt Römershag ein. Sie gelangte in die Obhut der Kongregation der Erlöserschwestern (Würzburg). Lange blieb die Bad Kissingerin nicht in der Einrichtung, die zu dieser Zeit auch zum Sammelpunkt für 20 weitere Patienten aus der Anstalt Klingenmünster in der Pfalz wurde.
Nur vier Tage nach Ankunft der Klingenmünsterer wurde sie im Zuge der "T4-Sonderaktion" auf die angesprochene letzte Reise geschickt - zunächst in die Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar in Oberbayern und später in eine Tötungsanstalt nach Hartheim in Oberösterreich. Sehr wahrscheinlich wurde sie dort kurz nach ihrer Ankunft noch im September 1940 ermordet.
Genau nachweisen lässt sich das nicht mehr. In einem Schreiben der "Reichsvereinigung der Juden in Deutschland" vom 8. Januar 1942, in dem es um die Begleichung von Pflege- und Einäscherungskosten für Wittekind geht, wird davon gesprochen, dass die Bad Kissingerin "am 28. Januar 1941 in der Irrenanstalt Cholm verstorben ist".
Für Dirk Hönerlage, der zusammen mit dem Arbeitskreis "Stolpersteine" jüdische Schicksale in Bad Brückenau erforscht, entbehrt diese Behauptung jeder Grundlage. Die Nazis hätte alles getan, um die genauen Umstände des T4-Programms zu verschleiern.