Erinnerung an viele Schicksale
Autor: Marion Eckert
Wildflecken, Mittwoch, 19. April 2017
An drei Tagen im Jahr - Oster- und Pfingstsonntag sowie Allerheiligen - sind die Friedhöfe auf dem Truppenübungsplatz für die Öffentlichkeit zugänglich.
Morbider Charme zeichnet die Friedhöfe im Truppenübungsplatz Wildflecken aus. Es handelt sich um die Friedhöfe der ehemaligen Dörfer, die ab 1938 Zug um Zug abgesiedelt wurden. Jedes Jahr an Ostersonntag, Pfingstsonntag und Allerheiligen sind die Friedhöfe offen. Dank Adolf Kreuzpaintner von der Reservistenkameradschaft Wildflecken und seiner guten Beziehungen zu den Verantwortlichen im Truppenübungsplatz sind diese Besuche und Besichtigungen möglich.
Bereitwillig führte Kreuzpaintner über die Friedhöfe, erklärte die Geschichte der abgesiedelten Dörfer und ihrer Überreste. Auf einer Anhöhe direkt gegenüber einer Schießbahn liegt der Friedhof der ehemaligen Dörfer Reußendorf und Silberhof. "Der Friedhof lag zwischen den beiden Dörfern", erklärte Kreuzpaintner. 1952 habe hier die letzte Beisetzung stattgefunden. Reußendorf, war das höchste unterfränkische Dorf auf 690 Meter Höhe, 1953 wurde es endgültig abgesiedelt.
In den Jahren 1978/79 habe sich die Reservistenkameradschaft unter Führung von Kreuzpaintner des zwischenzeitlich komplett verwilderten Friedhofs angenommen. "Wir haben umfassend aufgeräumt. Neun Ster Eschen wurden rausgeholt." Seither werde der Friedhof regelmäßig gepflegt, vor einigen Jahren wurde für die mittlerweile verstorbenen Kameraden, die bei der Freilegung des Friedhofs aktiv dabei waren, ein Marterl aufgestellt, das anlässlich des Ostersonntags mit einer Blumenschale geschmückt worden war.
Die Besucher, die an den Feiertagen in den Truppenübungsplatz kommen, waren in den ersten Jahren noch ehemalige Bewohner der abgesiedelten Dörfer oder nahe Verwandte. "Das hat im Lauf der Jahre stark nachgelassen. Heute kommen die Enkel und Urenkel, oft von weither, sie wollen wissen, wo ihre Großeltern lebten, wo ihre familiären Wurzeln sind", berichtet Kreuzpaintner.
Auf dem Friedhof steht ein Kreuz mit einem frisch renovierten Korpus. Jahrezehntelang sei das Kreuz ohne Christusfigur gewesen. Jahrzehntelang hatte es Kreuzpaintner gesucht. Im ehemaligen Wildfleckener Bullenstall wurde er in der hintersten Ecke schließlich fündig. "Der Korpus war total verrostet, die Arme abgetrennt. Wir haben ihn restaurieren lassen. Aber ob der Korpus wirklich früher einmal an diesem Friedhofskreuz hing, wissen wir nicht sicher."
Geschichten und Schicksale
Einen eigenen Friedhof hatte Reußendorf zunächst nicht. Die Toten wurden in Oberbach bestattet. Erst 1897 wurde der Friedhof angelegt. Zu vielen der Grabsteinen weiß Kreuzpaintner Geschichten zu erzählen. Da ist das Grab des Reußendorfers Karl Wenzel, der 1946 von drei Polen auf der Straße zwischen Maria Ehrenberg und Altglashütten, einem ebenfalls abgesiedelten Dorf, überfallen und erschossen wurde. Sehr kunstvoll gestaltet ist der Grabstein der letzten Wirtsleute vom Wiesenhaus Daniel Schmitt und seiner Frau Barbara.Auf dem ehemaligen Reußendorfer Friedhof ist auch eine Reihe an Grabsteinen aus Altglashütten zu sehen. "Die wurden später hier aufgestellt. Es sind Gedenksteine keine Gräber. Die Angehörigen fragten, ob wir Platz haben", erklärte Kreuzpaintner. Ähnlich verhalte es sich mit den modernen Grabsteinen im hinteren Bereich. "Das sind Grabsteine ehemaliger Reußendorfer. Sie sind weggezogen, haben wo anderes gelebt und sind dort gestorben. Nach Ablauf der Ruhefrist und Auflösung des Grabes sind die Steine nach Reußendorf gekommen. So bleiben die Namen der Menschen in Erinnerung, die hier einmal gelebt haben."
Auch auf dem Friedhof von Alt- und Neuglashütten sowie Dörnberg sind neuere Grabsteine aufgestellt worden. "Es sind Gedenksteine. Keine Gräber. Bestattungen sind hier nicht mehr möglich". Der Waldfriedhof, auf dem Einwohner aus den drei Ortschaften bestattet wurden, liegt in dem wildromantischen Tal der kleinen Sinn. Seit Abzug der Amerikaner Anfang der 1990er Jahre kümmert sich die Reservistenkameradschaft auch um diesen Friedhof.
Dem Verfall preis gegeben
Gräber dem Verfall preis gegeben. Marode Steine und Kreuze, zwei Engel, denen die Köpfe weggeschossen wurden, verwitterte Namen, Patina auf dem Metallkreuz. Es ist ein verwunschener Friedhof mitten im Wald. Dass hier früher Ortschaften und Gehöfte gewesen sein sollen, kann man sich nicht mehr vorstellen. Doch die Gräber auf dem Waldfriedhof erzählen von einstigen Tagen und Schicksalen. Da ist das Geschwisterpaar Alfons und Amanda Wiegand. Der Bursche starb mit 17 Jahren an Blutvergiftung, die Schwester mit 21 Jahren, sie war von Kindesbeinen an krank. Die verfallenen und vermoosten Kreuze sind steinerne Zeugen der Vergangenheit. "Dort hat die Kirche gestanden und das Pfarrhaus", weist Kreuzpaintner in den Wald. Wer genau hinschaut, sieht eingefallene und überwachsene Keller. "Alles vorbei. Wenn wir uns nicht kümmern würden, wäre alles überwachsen und in Vergessenheit geraten", sagt Kreuzpaintner. Er freut sich auf Pfingstsonntag, wenn der Truppenübungsplatz wieder für die Friedhofsbesuche geöffnet wird und er Interessierten die Vergangenheit nahe bringen kann.
Rückblick Am 8. Februar 1938 wurde der Truppenübungsplatz Wildflecken offiziell in Betrieb genommen. Rund 2500 Menschen haben damals ihre karge und rauhe Heimat verlassen müssen: Reußendorf. Altglashütten, Neuglashütten, Silberhof, Dörrenberg, Rothenrain und Werberg auf der bayerischen Seite, sowie Dalherda, Hintergichenbach und Kippelbach auf der hessischen Seite. Bis Mai 1937 mussten die Bewohner ihre Heimat verlassen. Reußendorf bildet eine Ausnahme. Diejenigen, die sich als Arbeiter für den Bau des Truppenübungsplatzes meldeten, konnten im Dorf bleiben. Auch von den abgesiedelten Dörfern zogen Bauern und Handwerker nach Reußendorf, es wurde zum "Frontdorf". Im Juli 1952 wurde der Ort zum zweiten Mal abgesiedelt. Die Einwohner zogen zum Großteil nach Wildflecken. Die Anwesen dienten nach der Absiedlung den US- Truppen zu Übungszwecken. 1955 wurde das Dorf völlig zerstört. Die Bewohner der Umgebung holten sich noch verwertbares Baumaterial.