Eine bewegte Biografie
Autor: Ulrike Müller
Wildflecken, Montag, 31. Oktober 2016
Seit sechs Jahren ist Daniele Roth Pfarrerin der Evang.-Luth. Kirchengemeinde Wildflecken. Die Pazifistin lebt ausgerechnet vor den Toren der Rhön-Kaserne.
Sie ist zierlich und klein. Die Stimme sanft, ihre Augen verständnisvoll. Daniele Roth ist Theologin und Pfarrerin. Seit dem Jahr 2010 ist sie für die evangelischen Christen im Oberen Sinngrund zuständig, zumindest hauptsächlich. 25 Prozent ihrer Arbeitszeit - für Pfarrer sind oft deutlich mehr als 50 Wochenstunden normal - verbringt sie in Bad Brückenau als Klinik- und Kurseelsorgerin. Es ist eine Arbeit, die sie ausfüllt. "Der Pfarrberuf erdet die Theologie", sagt die 50-Jährige. "Er verbindet den Glauben mit dem Leben."
Begegnung mit schwer Kranken
Den christlichen Glauben jedenfalls hat Daniele Roth schon früh kennengelernt. Ihr Vater, ebenfalls Pfarrer, arbeitete in Brasilien. Nicht als Missionar, sondern als Angestellter der bra silianischen Kirche. "Wir sind anders aufgewachsen, am Rande des Urwalds", erzählt Roth.
Erst als Teenager kehrt sie mit ihrer Familie nach Deutschland zurück, studiert Medizintechnik und ar beitet von 1991 bis 1998 als In genieurin mit Schwerpunkt Strahlenphysik am Klinikum Bamberg.Warum wirft eine junge Frau Anfang 30 ihren Beruf hin und wird Klosterschwester? "Weil ich intensiv den Glauben in mein Leben hineinnehmen wollte", antwortet Roth. Die Arbeit im Klinikum mit Patienten, die an Krebs erkrankt waren, belastet sie. Sie wird Benediktinerin, tritt der Communität Casteller Ring - auch unter dem Namen Schwanberg bekannt - bei. 15 Jahre bleibt sie im Kloster. Das heißt, eigentlich studiert sie Theologie an der Universität Er langen und der kirchlichen Hochschule Neuendettelsau. Die Schwestern hatten es ihr vorgeschlagen und Theologie interessierte sie, von Haus aus sozusagen.
Friedensanspruch des Glaubens
Nach dem Vikariat verschlägt es Roth nach Wildflecken, aus gerechnet vor die Tore der Rhön-Kaserne. "Unsere Kirche liegt an der Zufahrt zum Truppenübungsplatz", erzählt Roth. "Die Soldaten sehen als erstes den evangelischen Kirchturm." Ein Zeichen des Friedens, das erinnert und mahnt, ist der Turm für sie. Ab und zu sitzen evangelische Soldaten zum Teil aus ganz Europa am Sonntag in ihrem Gottesdienst. "Ich habe hier Soldaten kennengelernt, die ihren Beruf wirklich aus der Überzeugung tun, dass sie für den Frieden ihr Leben einsetzen", sagt Roth, eine Pazifistin. Sie habe Soldaten auch durchaus als kritisch gegenüber Entscheidern und der Politik erlebt. Und dennoch, der Friedensanspruch des Glaubens sei da. "Jesus Christus lebte gewaltfrei", stellt die Pfarrerin in den Raum, und nach einer Pause: "Natürlich kann man das nicht eins zu eins auf die Weltpolitik übertragen." Die Bilder aus Sy rien be wegen auch sie. "Das ist für mich auch eine Frage: Kann man da einfach nur zuschauen?" Sie schweigt.
Traditionen greifen nicht mehr
Kämpft die evangelische Kirchengemeinde in Wildflecken auf verlorenem Posten? "Nee! Um alles in der Welt, gar nicht", entfährt es Daniele Roth. An keiner anderen Stelle spricht sie so sehr mit Nachdruck wie an dieser. Die Bundeswehr, die häufigen Zu- und Wegzüge, die Arbeitslosen, das alles präge eine Kirchengemeinde, manche alten Traditionen greifen nicht mehr. Dass Kinder selbstverständlich zur Konfirmation angemeldet werden. Oder der sonntägliche Gottesdienstbesuch.
Dennoch: "Wir sind eine Kirchengemeinde im Umbruch", sagt die Pfarrerin und erzählt vom neuen Ju gendraum im Kirchturm oder der Aktion "Tischlein deck' dich", einer Lebensmittelausgabe für Bedürftige, die mehr als 30 Ehrenamtliche stemmen."Die gesamte Kirche sehe ich ökumenisch. Wir leisten hier zu sammen unsere Aufgaben", spielt Roth auf die bewährte Zusammenarbeit mit ihren katholischen Kollegen an. Im Internet präsentieren sich die katholische Pfarreiengemeinschaft Oberer Sinngrund und die Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde gemeinsam. Zweimal jährlich erscheint ein ökumenischer Pfarrbrief, in dem alle kirchlichen Veranstaltungen im Ort an gekündigt werden. Einmal im Jahr findet ein ökumenischer Frauengottesdienst statt und ja, einen ökumenischen Handarbeitskreis gibt es auch.
Die ökumenische Idee greift
"Es ist auch für mich sehr schön, dass die Ökumene im ganzen Oberen Sinngrund blüht", sagt Roths katholischer Kollege Florian Jud mann. "Die Ökumene wird nicht nur von den Pfarrern getragen, sondern ist Teil des Kirchenverständnis der Gläubigen. Das freut mich sehr."Seit ein paar Jahren ist Daniele Roth keine Klosterschwester mehr. Das Leben in der Kommunität und der Pfarrberuf ließen sich nicht auf Dauer vereinbaren, schon allein zeitlich. Eine Einzelkämpferin ist sie aber nicht. "Wir haben im Dekanat eine gute Gemeinschaft", freut sie sich und hat noch viele Projekte im Kopf für ihre Gemeinde im Umbruch.