Druckartikel: Bad Brückenauer Synagoge brannte vor 75 Jahren

Bad Brückenauer Synagoge brannte vor 75 Jahren


Autor: Ulrike Müller

Bad Brückenau, Freitag, 08. November 2013

Am 10. November 1938 ging die Brückenauer Synagoge in Flammen auf. Frieda Krug und Rosemarie Schubert können sich noch an den Brand erinnern, denn an diesem Tag bekamen sie eine ungewöhnliche Hausaufgabe auf.
Ausgebrannte Synagoge vom Schafberg aus im Februar 1941. Das Haus rechts unten im Bild ist daran zu erkennen, dass das Dach fehlt. Foto: Zeitungsarchiv


Ein Besuch im Seniorenheim Haus Waldenfels gleicht einer Zeitreise. Denn hier leben sie, die Zeitzeugen, die ein Stück deutsche Geschichte erlebt haben und viel erzählen können, wenn man nur fragt. So wie zum Beispiel Frieda Krug (86) und Rosemarie Schubert (88). Als am 10. November 1938 die Brückenauer Synagoge brannte, saßen die beiden Mäd chen zusammen auf der Schul bank. Doch etwas war anders an die sem Tag, denn die Lehrerin gab ihnen eine ungewöhnliche Hausaufgabe auf.

Frieda Krug erinnert sich noch genau: "Frau Stoll hat zu uns gesagt: Heute lauft ihr auf eurem Nachhause-Weg mal den Kirchberg hinunter. Und dann merkt ihr euch alles, was ihr seht." Und das taten die Kinder. Zuerst kamen sie bei den Schwestern Spier vorbei. "Die hatten ein Hutgeschäft, wo wir als Kinder immer unser Hand arbeitszeug eingekauft haben", weiß Rosemarie Schubert über die "Modistinnen zwischen Hü ten und Büsten" zu berichten, wie Josef Krug einst über die Schwestern dichtete. Aber sein Gedicht geht noch weiter:

"auch die zwei Schwestern
wurden nicht verschont:
hing ein Plakat an der Türe:
Boykott!
Kauft nicht bei Juden! ...
hingen Gesichter im Fenster
einbrachen Fäuste, Geschrei
ein Stein durch die Scheibe
Stiefel auf Bänder und Hüte
auf Stoffe heraus aus Regalen
gerissen
Jüd! schrie's, schrill in der
Mundart
Jüde! durchs Städtchen"


Die Szene, die in dem Band "Last traces - Letzte Spuren" von Cornelia Binder und Michael Mence beschrieben wird, war kein Einzelfall. Die Geschwister Lothar und Klara Tannenwald hatten ebenfalls ein Textilgeschäft, ebenso wie die Familie Zeller, erinnern sich die beiden Damen. "Da war's genauso."

Schließlich steht Frieda Krug vor der brennenden Synagoge. Zuhause verkriecht sie sich bei ihrer Mutter in der Waschküche und weint. "Ich habe das als furchtbar schlimm empfunden. Wir haben als Familie nicht aus dem Vollen geschöpft ... Da hät te man sich vielleicht ein Kleid gewünscht und die Leute schmeißen die Stoffe auf die Straße." Rosemarie Schubert sieht erst von zuhause in der Bahnhofstraße aus, wie "die Flammen hoch aufschlagen". Doch sie darf nicht aus dem Haus. "Mein Vater hat zu mir gesagt: 'Du bleibst daheim!' Ich war ganz entsetzt."


Spuren verlieren sich

Die Schwestern Spier verließen Bad Brückenau im Juli 1939 und gingen nach Frankfurt. Dann verlieren sich ihre Spuren. Bertha Spier starb im Konzentrationslager Theresienstadt. Ihr Name steht mit 34 weiteren auf einer Liste, die Cornelia Binder und Michael Mence erstellt haben. Auch jüdische Bürger aus Geroda (33), Platz (10), Riedenberg (13), Unterleichtersbach (1) und Zeitlofs (21) wurden in solchen Lagern ermordet.

"Es war eine ungute Zeit", sagt Frieda Krug über das Klima der Angst, das damals in der Kurstadt herrschte. "Uns Kindern wurde immer gesagt: 'Seid schön ruhig und sagt nichts!'".