Bad Brückenau: Unternehmer sind in Sorge
Autor: Ulrike Müller
Bad Brückenau, Freitag, 03. April 2020
Geschlossene Geschäfte, gebeutelte Gastronomie: Der Katastrophenfall in Bayern trifft viele Unternehmen hart. Doch es gibt Hoffnung. Einzelne Vermieter erlassen Teile der Pacht. Auch der Staat hilft - aber reicht das?
Es ist kalt in den Straßen und kühl im Verkaufsraum des Eiscafés Venezia. Der Sitzbereich ist abgesperrt. Draußen in der Fußgängerzone weist ein Schild auf Eis "to go" hin. Auf die Hand verkaufen und nach Hause liefern darf Roberto Kopp noch. Er steht stellvertretend für viele Gastronomen und Einzelhändler, die angesichts der strengen Auflagen während der Coronapandemie mit dem Rücken an der Wand stehen. Neulich habe einer etwas für 78 Euro bestellt, erzählt Kopp. 78 Euro, das ist der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein.
"Ich bitte Sie um Solidarität mit einer Hand aufs Herz und nicht am Portemonnaie", schrieb Kopp seinem Vermieter. Diese Lebensprobe betreffe doch alle. Zunächst habe der Eigentümer 35 Prozent Nachlass in Aussicht gestellt, unter der Bedingung, dass Kopp den Mietvertrag verlängere, berichtet der dreifache Familienvater. Immerhin, nach zweimaligem Bitten seien ihm knapp 500 Euro der Miete einmalig für diesen Monat erlassen worden. "Ich habe praktisch kein Einkommen", sagt Kopp verzweifelt. Eine Tochter sei noch in der Schule, zwei Söhne machen gerade Abitur und studieren.
Die Soforthilfe des Freistaats Bayern hat Kopp beantragt. Das hat Kerstin Schmidt (Name von der Redaktion geändert) auch. Beide haben noch kein Geld überwiesen bekommen. "Ich glaube auch nicht, dass davon bei uns Kleinen etwas ankommt", sagt die Bad Brückenauer Unternehmerin. Sie beschäftigt sechs Mitarbeiter, der Antrag auf Kurzarbeit sei noch nicht bewilligt worden. Die Überweisungsträger für März füllte sie daher privat aus. Das Büro, das sonst die Lohnabrechnung für sie mache, sei in der aktuellen Situation überfordert. "Ich würde mich schämen, wenn meine Leute nicht ihren Lohn bekommen", sagt Schmidt. "Da habe ich zu viel Stolz und Ehre."
Kredit zur Überbrückung
Sie selbst freilich geht leer aus. Etwa 23.000 Euro laufende Kosten kämen pro Monat zusammen - ohne Ware. Die letzte Lieferung kam erst in dieser Woche an, in ein Geschäft ohne Kunden. "Ich gehe davon aus, dass wir im Mai wieder öffnen", sagt Schmidt und es klingt so, als dürfe es nicht anders sein. Um sechs Wochen überbrücken zu können, hat Schmidt eine wichtige Investition aufgeschoben und einen Kredit in Höhe von 50.000 Euro beantragt.
Sie hat Glück: Ihre Geschäftszahlen für die vergangenen drei Jahre sähen gut aus. Es seien nur noch wenig Altschulden da, erzählt sie. Sonst würde sie das Geld nicht bekommen. Der Kredit aber müsse innerhalb von fünf Jahren zurückgezahlt werden, ergänz Schmidt. Schaffe sie das nicht, bürge sie mit ihrer Altersvorsorge. Die Unternehmerin kennt das finanzielle Risiko. Nun aber wurmt sie, dass sie so viel Geld aufnehmen muss, einfach nur um laufende Kosten zu decken. Ihr Vermieter jedenfalls schenke ihr die Miete nicht.
Geste aus Freundschaft
Es gibt auch schöne Gesten in diesen Zeiten. Ein Einzelhändler aus Bad Brückenau berichtet, dass sein Vermieter aus eigener Initiative für März die Miete halbiert hat: "Das finde ich extrem fair." Für April habe er angeboten, gar kein Geld zu verlangen, doch das wollte der Mieter nicht. Es bleibt also beim halben Preis. "Man kennt sich. Das ist eigentlich der Hauptgrund", erklärt der Vermieter, der nicht genannt werden möchte, warum er so gehandelt hat. Das Entgegenkommen werde er beibehalten, bis die unmittelbaren Einschränkungen durch die Ausbreitung des Coronavirus vorbei sind.
Ein Einzelhändler aus der Ludwigstraße berichtet, sein Vermieter habe ihm ebenfalls 50 Prozent der Miete erlassen - für die Dauer von sechs Monaten. Drei Mitarbeiter beschäftigt er. Die Soforthilfe des Freistaats Bayern habe er schon vor elf Tagen beantragt. "Noch ist nichts angekommen", sagt auch er abwartend. Insgesamt 9000 Euro könnte er bekommen. "Ich bin schuldenfrei - Gott sei Dank - und habe Rücklagen." Der Unternehmer hofft, dass er so über den Berg kommt. Dass das Ersparte drauf geht, um die Zeit des verordneten Stillstands zu überbrücken, sei dennoch "sehr, sehr ärgerlich".