Aussteiger auf Zeit im Sinntal
Autor: Rolf Pralle
Bad Brückenau, Freitag, 08. Juni 2018
Das Ehepaar Schneiders und seine beiden Kinder reisen mit Pferd und Wagen durch Deutschland. Im Sinntal machte das Quartett jetzt Station.
"Heute ist der 316. Tag auf unserer Tour", sagt Barbara Schneiders, als die illustre Truppe ihr Lager unterhalb des Washingtonplatzes aufschlägt. "Im Juli 2017 sind wir losgefahren. Ein komplettes Jahr ist für die Reise eingeplant", ergänzt ihr Mann Daniel.
Sowohl die Länge der einzelnen Etappen als auch die Tagesziele sind im Vorfeld überhaupt nicht festgelegt. "Nur immer in östlicher Richtung soll es gehen", erläutert die 39-jährige Globetrotterin einen groben Anhaltspunkt. Vieles hänge vom Wetter und der Beschaffenheit des Terrains ab. Für ihren ein Jahr jüngeren Ehepartner ist es von besonderer Wichtigkeit, "auch immer das Wohl der Tiere im Auge zu behalten". Denn zu dem Tross, der mit einer Kutsche und einem Planwagen unterwegs ist, gehören sieben Pferde, drei Hunde und seit einigen Wochen auch eine kleine Ziege: "Das arme Geschöpf war verwaist, wir haben es bei uns aufgenommen".
Obwohl am Lagerplatz zwischen Stadt und Staatsbad der sprichwörtliche Hauch von Freiheit und Abenteuer weht, wird dem Betrachter schnell klar, dass der Tag der Schneiders trotz aller Romantik doch sehr strukturiert verläuft. Mit den anfallenden Arbeiten kommt die Familie hervorragend klar. "Alles hat sich von Tag zu Tag immer besser eingespielt. Jeder kennt seine Aufgaben".
Das gilt auch für die beiden Kinder Sarah und Julian, die von den Reiseabsichten ihrer Eltern sofort begeistert waren. Die 18-jährige Tochter und ihr zwei Jahre jüngerer Bruder "haben die Schule hinter sich und nun die Gelegenheit, praktische Lebenserfahrung zu sammeln", wie es der Vater formuliert. Nach der Tour könnten sie dann entscheiden, in welche berufliche Richtung sie sich entwickeln. Die zwölfmonatige Reise werde ihnen auf jeden Fall neue Perspektiven und unschätzbare Erfahrungen vermitteln. Das sehen die Kinder übrigens genauso. Das "einmalige Erlebnis" würde den Mangel an Komfort jederzeit wettmachen. An das vorübergehende Leben im Wagen, in dem auch geschlafen und gekocht wird, habe man sich rasch gewöhnt.
Bis zu ihrem zeitweiligen Ausstieg haben die Schneiders daheim im Hunsrück ein kleines Hotel betrieben und tierbezogene Dienstleistungen angeboten. Dort sind die Fensterläden seit einigen Monaten unten und die Türen verschlossen. Bekannte und Freuden sehen ab und zu nach dem Rechten. "Und unsere Tiere haben wir ja mit auf Tour genommen", sagt der gelernte Hufschmied und Tierheilpraktiker, dessen Dienste einige stationäre Pferdehalter unterwegs gern in Anspruch nehmen. "Wenn ich dort fachmännisch helfen kann, bessert das natürlich auch unsere Reisekasse auf".
An Unterstützung mangelt es der Familie nicht. Man werde in den angefahrenen Orten von der Bevölkerung "zu 99 Prozent" sehr wohlwollend aufgenommen, manchmal sogar von Privatleuten zum Essen eingeladen. Andererseits gebe es unterwegs immer wieder Neugierige, die sich sogar für einige Tage dem Quartett anschließen. Und auch Besuch kommt regelmäßig. "Wir haben schon ein paar Fans, die selbst weite Strecken mit ihrem Auto zurücklegen, um zu schauen, wie es uns geht". Besonders loben die Aussteiger das verständnisvolle Auftreten der Ordnungshüter an den verschiedenen Stationen: "Wir wurden natürlich schon mehrfach von der Polizei kontrolliert. Wenn die Beamten dann feststellen, dass alles in Ordnung ist, entwickeln sich ganz tolle Gespräche".
Zu ihrer ungewöhnlichen Reise haben die Schneiders eine eigene Website eingerichtet. Unter www.grünekutsche.de gibt es fast täglich Neuigkeiten von der interessanten Tour.