Druckartikel: Auf Spurensuche

Auf Spurensuche


Autor: Steffen Standke

Bad Brückenau, Freitag, 13. Mai 2022

In Bad Brückenau lebten bis in die Nazizeit einige Juden. Forscherin Cornelia Mence begab sich mit Interessierten auf eine Tour zu ihren früheren Wohnstätten. Dabei kamen erstaunliche Familiengeschichten zu Tage.
Jüdisches Leben in der Ludwigstraße: Cornelia Mence deutet auf das Haus, in dem früher Lothar und Klara Tannenwald ein Bankgeschäft unterhielten. Vorne hält Kulturamtsleiter Jan Marberg ein Sparbüchlein aus jener Zeit.


Das Schicksal der Geschwister Klara und Lothar Tannenwald - es ist ein tragisches. Die beiden führten ein Bankgeschäft und eine Textilhandlung in der Brückenauer Ludwigstraße, dort, wo heute Roberto Kopp sein Eiscafe Venezia betreibt. Als letzte noch in der Stadt lebende Juden wurden die Tannenwalds 1942 per Lastwagen nach Würzburg und dann per Zug ins Vernichtungslager Izbica deportiert und umgebracht.

Cornelia Mence berichtete bei einem einstündigen Spaziergang anlässlich der Jüdischen Kulturtage nicht nur ihre Geschichte. Mit ihren Gästen ging sie einige Orte in der Kernstadt ab, wo Juden bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts lebten. Die Hammelburger Forscherin stellte Bezug her zu ihrem damaligen Leben, aus dem sie nicht nur durch die Verfolgung der Nazis gerissen wurden.

Der Begang startete an der früheren jüdischen Synagoge, die sich nahe dem Rhön-Center im Alten Schlachthofweg befindet. Obwohl im November-Pogrom 1938 ausgebrannt, haben sich Teile davon, besonders der Erker am rückwärtigen Teil, erhalten. Die prächtige Kuppel, die das Bild des Städtchen mitprägte, existiert nicht mehr.

Mence verlas einen Artikel aus dem Brückenauer Anzeiger von der Eröffnung der Synagoge 1913. Er klang wohlwollend; die Juden schienen in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Es war die Blüte der israelitischen Gemeinde, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begonnen hatte, als viele Juden aus der Umgebung zuzogen. 1910 lebten 124 von ihnen im Städtchen. Erst in den 1920er-Jahren entstand in der aufstrebenden Kurstadt ein jüdischer Friedhof.

Matzenbäckerei und Schule

Weiter ging es nur wenige Schritte hinauf zur Unterhainstraße. Dort, wo bis vor einigen Jahren die Redaktion der Heimatzeitung residierte und heute digitale Registrierkassen in den Schaufenstern stehen, befand sich die "Matzenbäckerei Stern". Cornelia Mence verteilte Matzen - ein ungesäuertes Fladenbrot - und sprach von großer Wohltätigkeit, die unter Juden gerade in schweren Zeiten herrschte. In der Unterhainstraße befand sich auch das jüdische Schulhaus (heute Friseur Kehm). Bei den Pogromen am 10. November 1938 wurde es stark beschädigt, das Mobiliar zerstört.

Von der Unterhainstraße führt die Judengasse hinauf zum Marktplatz. Wobei der Name laut Mence nicht bedeutet, dass dort besonders viele Juden gewohnt hätten. Sie lebten überall in der Stadt verteilt. Vielmehr deutet die Bezeichnung darauf hin, dass dieser Weg hinunter zur Synagoge führte.

Jüdische Bewohner hatte indes die Judengasse 4, wo sich heute ein Hutatelier befindet.

Angekommen am Eiscafe Venezia in der Ludwigstraße, zeigte die Exkursionsleiterin ein Sparbüchlein des Bankgeschäfts Tannenwald vor. Die Kombination mit einem Textilhandel sei nicht ungewöhnlich gewesen. Es war eine kleine Stadt und man tat, was ging. Mence berichtete auch, dass Lothar Tannenwald noch beim Verkauf der Synagoge von Zeitlofs mitwirken musste. Dort lebten seit 1938 keine Juden mehr. Der Bankier hatte übrigens im Ersten Weltkrieg die Knochen für das Deutsche Kaiserreich hingehalten; die Nazis dankten es ihm mit Vernichtung.

Flucht in große Städte

Ein in der Stadt angesehenes Hutgeschäft führten die jüdischen Modistinnen Bertha und Paula Spier in der Ludwigstraße 20. Heute sitzt dort der Bund Naturschutz. Beide stehen für viele Juden aus Brückenau, die zunächst in die großen Städte flohen, um unterzutauchen. Die Geschwister Spier gingen im Juli 1939 und wohnten bis 1941 in Frankfurt/Main. Bertha kam in Theresienstadt um.

Cornelia Mence verlas ein Triptychon, das der gebürtige Brückenauer Josef Krug nach einem Besuch in Auschwitz über die Schwestern geschrieben hatte. Darin geht es um ihr Geschäft, aber auch den Weg in die Vernichtung - sowie das, was von all dem geblieben ist.

Bekannter sein dürfte die Geschichte der früheren Inhaber des Hauses Ludwigstraße 4. Julius Schuster aus Sterbfritz handelte zuerst mit Bauwaren, später mit Lebensmitteln. 1905 entstand das prächtige Haus in der Ludwigstraße. Nach der Entdeckung der Brückenauer Heilquellen 1906 ließ er das Hotel Central" in der Unterhainstraße - heute Therapiezentrum - als koscheres Kurhotel bauen. Mehrmals wurde Schuster verhaftet, kam 1938 ins KZ Buchenwald. Nach seiner Entlassung musste er samt Familie die Stadt verlassen und flüchtete nach Palästina. Sein Enkel ist Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden.

Mence steuerte weitere jüdische Orte an, wie das ehemalige Geschäft Klubertanz, wo davor die jüdische Familie Zeller lebte. Nicht immer verbinden sich Spuren jüdischer Brückenauer automatisch mit der Nazizeit. Auf dem Kriegerdenkmal am alten Rathaus steht der Name von Emil Goldschmidt. Er fiel 1918 mit 21 Jahren. Mence weiß von drei weiteren gebürtigen Bröggenäer Juden, die im Ersten Weltkrieg starben. Sie stehen nicht auf dem Gedenkstein, weil sie vorher weggezogen waren, einer davon nach Zeitlofs