Asyl in Motten: Endlich angekommen
Autor: Stephanie Elm
Motten, Sonntag, 09. Juli 2017
Die Hilfe von Ehrenamtlichen im Flüchtlingsheim in Motten konnte zurückgefahren werden, weil der Bedarf nicht mehr so groß ist.
"Ich bin aus Afghanistan." Dies war der erste Satz, den Thomas Koscielny von der damals neunjährigen Hajar zu hören bekam, und zwar völlig akzentfrei. Als sie vor einem Jahr mit ihrer Familie die Flüchtlingsunterkunft in Motten bezog, war es ihr einziger Satz, den sie auf Deutsch sagen konnte. Heute spricht sie Deutsch, so wie ihre Klassenkameraden auch, völlig akzentfrei. Sie und ihre Familie genießen subsidiären Schutz, so wie eine weitere Familie in der Flüchtlingsunterkunft. Eine Familie ist anerkannt, drei ledige Männer warten auf ihren Bescheid.
Anfangs Tag und Nacht bereit
Anfangs herrschte ein Kommen und Gehen. Aus unterschiedlichen Gründen verließen die Flüchtlinge die Unterkunft wieder. Eine Familie fand Arbeit in Thüringen, eine andere in Motten, manche zogen in andere Flüchtlingsunterkünfte um, viele Flüchtlinge aus Mazedonien wurden abgeschoben. Die Polizei stand vor der Tür und brachte sie zum Flughafen. Da ist es auch für Thomas Koscielny nicht immer leicht, die emotionale Distanz zu wahren.
Höflich, aber distanziert
"Ich versuche, die persönlichen Kontakte zu begrenzen, aber gute Freundschaft kommt, so oder so." Abgesehen davon, dass es als unhöflich angesehen würde, wenn Koscielny eine Einladung ausschlagen würde, will er auch nicht zu viel Distanz: "Ein gutes häusliches Zusammenleben ist mir wichtig." Der Fuldaer bewohnt eine der neu hergerichteten Wohnungen und wäre theoretisch sieben Tage pro Woche und 24 Stunden pro Tag Ansprechpartner. So kam es schon mal vor, dass er eine werdende Mutter ins Krankenhaus fuhr und geduldig auf dem Gang wartete, da der Vater des Kindes bei den älteren Geschwistern blieb. Er betont: "Es sind ganz normale Menschen - man mag sie."
Einmal hat die Situation doch sehr an ihm genagt. Ein Kosovare hatte fünf Tage vor Weihnachten seinen Abschiebungsbescheid erhalten, seine Schwester lag im Krankenhaus. "Wir haben das mit einer freiwilligen Abreise gerade noch so hingekriegt", erinnert sich Koscielny und seine Augen werden nun doch feucht. Im Falle einer freiwilligen Abreise muss das Landratsamt die Tickets besorgen, doch die Weihnachtszeit verzögerte dies. Erst im Februar ist die Familie abgereist.
Nur noch für den Papierkram
Die Hilfe von Ehrenamtlichen konnte zurückgefahren werden, es gibt "deutlich weniger Bedarf." Einerseits sind die Deutsch-Kenntnisse gestiegen, außerdem wissen Flüchtlinge inzwischen besser über das Verhalten in Deutschland Bescheid. Lediglich für den Papierkram mit den Ämtern steht ein aktiver Helferkreis noch bereit. Auch die Caritas hat ihre Besuche in die Flüchtlingsunterkunft reduziert, ein Vertreter des Landratsamtes kommt nur noch, wenn Bedarf besteht. Das Verhältnis zu den Nachbarn ist - nach anfänglichen Vorbehalten - gut. In den 90er Jahren gab es im selben Haus bereits eine Gemeinschaftsunterkunft, die Anwohner beschwerten sich oft über Müllberge und zu laute Musik bis in die Nacht. Damit hat die heutige Flüchtlingsunterkunft nichts gemein. Es herrscht ein gutes nachbarschaftliches Verhältnis. Als beim Ballspiel eine Scheibe kaputt ging, wollte der Besitzer kein Geld, nur eine Entschuldigung. Die bekam er auch.
Ganz anderes Niveau
Aber auch bei den Flüchtlingen hat sich viel verändert. "Ich habe ein ganz anderes Niveau kennengelernt, als ich vorher kannte", sagt Thomas Koscielny zum Beispiel zur Arbeitsmoral der Flüchtlinge. "Sie freuen sich auf Arbeit, sie gibt ihnen Stabilität." Ein enormes Potential könne er in den Flüchtlingen erkennen. Menschen, die anerkannt wurden und im Mottener Umfeld geblieben sind, haben Arbeit gefunden, absolvieren die dritte Stufe beim Sprachtest und wollen anschließend studieren. Ein "ganz anderes Gedankengut" finde er vor. "Sie wollen ihr Leben ordnen und arbeiten."Gelernt hat er auch, dass der Anspruch, in einem fremden Land sein Leben ordnen zu wollen, Abenteuer genug ist. Seine Idee von einem Catering-Service musste Koscielny aufgeben. Angedacht war, dass mindestens zwei Köche mit der Zubereitung von orientalischen Speisen in die Selbstständigkeit gehen. Doch wurde die Familie abgeschoben, mit der die Idee umsetzbar gewesen wäre. Und: "Die Leute wollen lieber einen festen Arbeitsablauf."
Und noch etwas hat er gelernt: "Wie schnell sich Meinungen ändern können und wie viel von den Medien ungefragt übernommen wird." Herrschte Ende 2015 eine "offene Pro-Flüchtling-Stimmung", wurde das durch die Vorkommnisse in der Kölner Sylvesternacht schlagartig anders. So sehr er die Vorfälle verurteilt, "es dürfen nicht alle Flüchtlinge über einen Kamm geschoren werden."
Die Mottener erleben jedoch überwiegend ein Zusammenwachsen. "Bei den Kindern geht das einfach", so Bürgermeister Jochen Vogel (CSU). Die Sprache lernen sie "spielerisch", sie gehen gemeinsam in den Kindergarten und besuchen sich gegenseitig. Jochen Vogel hat vor allem Dankbarkeit von den Flüchtlingen erfahren. Eine Familie hatte einen "Friedensbaum" in Motten gepflanzt, eine andere ein Dankfest organisiert.
Unterkünfte Dem Landratsamt Bad Kissingen zufolge gibt es derzeit im Landkreis noch 21 dezentrale Unterkünfte. Seit 2016 wurden zwölf geschlossen.
Flüchtlinge Von der Pressestelle der Regierung von Unterfranken war zu erfahren, dass von Januar bis Mai 711 Personen nach Unterfranken gekommen sind. Im Landkreis Bad Kissingen waren bis Ende Mai 688 Asylbewerber gemeldet, 18 davon in Motten. Insgesamt leben in Unterfranken rund 9000 Asylbewerber, davon knapp 3000 Kinder und Jugendliche. Weitere aktuelle Zahlen zu Asyl finden sich unter: www.bamf.de