Albtraum mit gutem Ausgang
Autor: Rolf Pralle
Staatsbad Brückenau, Dienstag, 29. Dezember 2015
Die Gastspiele des Theaters Schloss Maßbach gehören zu den festen Punkten im Bad Brückenauer Kulturprogramm. Diesmal gelangte im Lola-Montez-Saal des Staatsbades das Stück "Die 39 Stufen" zur Aufführung.
           
Die Kriminalkomödie, erst vor zehn Jahren uraufgeführt, basiert auf dem gleichnamigen Roman von John Buchan aus dem Jahre 1915 und dem 1935 von Alfred Hitchcock gedrehten Film. Bearbeitet wurden "Die 39 Stufen" von Patrick Barlow nach einem Originalkonzept von Simon Corble und Nobby Dimon.
Allein schon vor dem Hintergrund der Zeitdifferenz zwischen den einzelnen Produktionen verbietet es sich, direkte Vergleiche mit dem Film anzustellen. Die Bühnenfassung ist von Anfang an anders ausgelegt. So agieren nur vier Schauspieler vor spärlicher Kulisse in mehreren Dutzend Rollen. Da bleibt viel der Phantasie der Zuschauer im ausverkauften Lola-Montez-Saal überlassen, was nicht immer ganz einfach ist.
  
  In der "Versteckten Kamera"?
 
So stellt die Hauptfigur Richard Hannay, dargestellt von Ingo Pfeiffer, beispielsweise recht früh im Stück die Frage, ob er hier in der versteckten Kamera sei. 
Denn das anfänglich recht ruhige Geschehen, der Hobby-Eisenbahner bastelt an seiner Modellbauanlage, nimmt unerwartet Fahrt auf. Die Agentin Annabella Smith (Lisa Oertel) sucht Schutz bei ihm, berichtet von einem bevorstehenden Landesverrat und wird ermordet. Von diesem Zeitpunkt an wird Hannay als vermeintlicher "Schlauchmörder" nicht nur von der Polizei, sondern von allerlei zwielichtigen Gestalten (Georg Schmiechen und Markus Schmädicke) gejagt. Es entwickelt sich eine wilde Verfolgung auf Straße, Schiene und in der Luft, die von London bis ins schottische Hochland führt. Denn Hannay will nicht nur seine Unschuld beweisen, sondern auch das Geheimnis des Spionage-Rings "Die 39 Stufen" aufdecken. Doch bis dahin sind noch etliche Abenteuer zu bestehen. Nach einer Fülle aberwitziger Szenenwechsel wird erst einmal auf Hannay geschossen, der stöhnend zusammenbricht. Die Zuschauer werden recht unvermittelt in die Pause entlassen. Bei einem Gläschen Sekt entwickeln sich schon nach dem ersten Teil der Aufführung interessante Diskussionen im Publikum. Denn wer beim jüngsten Gastspiel der Maßbacher eher traditionelles Theater erwartet hatte, zeigte sich enttäuscht. Einige konnten mit dieser Bühnenfassung nun rein gar nichts anfangen und machten sich schon frühzeitig auf dem Heimweg. Andere wiederum waren davon beeindruckt, dass "da mal etwas völlig Neues geboten wird".
  
  Rettendes Gesangbuch
 
Wie dem auch sei, schnell ist nach der Pause klar, dass Hannay noch lebt. Die vermeintliche Todeskugel steckt in einem Gesangbuch, das er in der Tasche hatte. Und turbulent geht es weiter, wobei das vierköpfige Schauspielerensemble im wahrsten Sinne des Wortes ganze Arbeit leistet. 
Denn außer Hauptdarsteller Ingo Pfeiffer müssen Lisa Oertel, Georg Schmiechen und Markus Schmädicke für ihre unterschiedlichen Rollen immer wieder schnell in andere Kostüme schlüpfen. Darüber hinaus ist das Quartett auch für den mehrfachen Umbau des Bühnenbildes zuständig, der jeweils mitten im Stück ganz ohne Vorhang nach einer exakt einstudierten Choreographie verläuft. Natürlich wird am Schluss alles gut, schließlich ist das Bühnenwerk eine Kriminalkomödie. Und vielleicht hat Richard Hannay nach all dem Chaos sogar seine große Liebe gefunden. Die Stimme eines Nachrichtensprechers aus dem Off, der kurz davon spricht, dass man Zeuge eines schrecklichen Albtraums gewesen sei, lässt bei den Zuschauern jedenfalls Raum für individuelle Interpretationen. Langanhaltender Beifall am Ende der Aufführung bewies, dass das Theaterpublikum sich im Laufe des Abends doch noch mit der nicht alltäglichen Präsentation angefreundet hatte. Und die großartigen Leistungen der Schauspieler standen ohnehin außer Frage.