Druckartikel: Abgesiedelte Orte auf Wildfleckens Truppenübungsplatz erkunden

Abgesiedelte Orte auf Wildfleckens Truppenübungsplatz erkunden


Autor: Stephanie Elm

Oberbach, Freitag, 31. Juli 2015

Der Geschichtskreis wandelt auf den Spuren der abgesiedelten Orte auf dem Wildfleckener Truppenübungsplatz.
Matthias Elm (2.v.r.) und Mitglieder des Geschichtskreises am Fuße des kleinen Auersberges mit Blick aufs Dammersfeld. Foto: Stephanie Elm


Eine geführte Wanderung hat bei den Wandertagen auf dem Truppenübungsplatz Matthias Elm für den Geschichtskreis angeboten. Eine mehr als 20-köpfige Gruppe begab sich auf Spurensuche entlang der abgesiedelten Orte.

Als wahrer Fachmann erschien der Speicherzer Heimatforscher Matthias Elm den Mitgliedern des Geschichtskreises. Zu jedem der einst im Gebiet des Truppenübungsplatzes beheimateten Siedlungen gab es nicht nur bloße Jahreszahlen, sondern eine Fülle an Erzählungen und Einblicken in die Geschichte, so dass diese lebendig wurde.

Gezielte Suche

Für Carola und Stefan Helfrich war Geschichte fast greifbar. In Rothenrain scherzte Stefan Helfrich über einen gefundenen Stein: "Auf dem hat der Opa schon gesessen." Der Weißenbacher war gezielt auf der Suche nach den Elternhäusern seiner Urgroßeltern Ludwig und Hildegard Möller. Auf Grund von Katasterplänen konnte er bereits im Vorfeld herausfinden, wo diese standen. Heute ist davon nichts mehr zu sehen. "Es sind besondere Momente", wenn man auf den Spuren der Vorfahren wandelt beziehungsweise wandert, verrät Carola Helfrich.
Thomas Hüfner befindet sich mit der Ahnenforschung noch am Anfang und nutzte die Gelegenheit der geführten Wanderung, um den Platz, auf dem das Haus seiner Urgroßeltern stand, zu sehen. Auch hier verrät das Terrain nichts mehr von der ehemaligen Dorfgemeinschaft Neuglashütten mit 122 Einwohnern. Die Mitglieder des Geschichtskreises kommentierten: "Wenn man es nicht weiß, läuft man hier einfach vorbei und sieht nichts."

Große Armut

In Neuglashütten gab es in den 1870er Jahren bereits die erste Wasserleitung aus Ton. Die Röhren waren verschraubt und mit Sieben gegen grobe Verunreinigungen versehen, das heißt für die damalige Zeit recht modern.Jedoch war die Armut allen abgesiedelten Orten gemein. Auf Grund der Höhenlage und des kargen Bodens war Landwirtschaft für den Lebenserhalt so gut wie unmöglich. Die Winter waren lang, extreme Wetter bescherten Ernteausfälle. Nach der Glas- und Eisenhüttenzeit war es der Bevölkerung immer weniger möglich, den Lebensunterhalt zu bestreiten.

Die Glasherstellung ist für Matthias Elm Ursache für die Dorfgründungen. Im 15. und 16. Jahrhundert gab es geradezu einen Boom an Glas- und auch Eisenhütten. Die abgelegenen und waldreichen Täler waren für die Glasherstellung wie geschaffen. Die Wälder lieferten die Mengen an Holz, mit denen die Öfen betrieben wurden, Sand aus dem weißen Sandstein war ebenfalls ein vorhandener Rohstoff für die Glasherstellung. Lediglich den Ton für die Schmelztiegel, die Temperaturen von 1000 bis 1200 Grad Celsius aushalten mussten, importierten die Bewohner aus dem Kasseler Raum.

Überall Glashütten

Glashütten entstanden entlang des Oberlaufs der Großen und Kleinen Sinn, wie 1603 in Altglashütten, 1725 in Neuglashütten, 1570 in Reußendorf und 1702 in Silberhof. In allen Glashütten wurden von "Top-Leuten der damaligen Zeit" sowohl Trinkgläser als auch Flachglas hergestellt, das europaweit gehandelt wurde, berichtete Matthias Elm.

Natürlich war auch der Transport viel aufwendiger. So mussten Glasträger die kostbaren Güter zunächst zu größeren Wegen bringen. In Altglashütten war der 2011 selig gesprochene Georg Häfner von 1928 bis 1934 als Kaplan tätig. Ein enorm wichtiges Ereignis war für jedes Dorf der Kirchenbau.

Bevölkerung wandert ab

Von der Gründungsphase bis zur Errichtung einer eigenen Kirche mussten die Gläubigen die für sie zuständige Kirche besuchen. Eine Geschichte berichtet, wie ein Kind in den Armen seines Vaters erfror, als er mit ihm auf dem Weg zur Taufe in Bischofsheim war. "Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen", kommentierten die Wanderer. Die Hochphase der Eisen- und Glasverhüttung, die den ehemaligen Orten im Truppenübungsplatz ein Auskommen bescherte, ging bis ins Ende des 18. Jahrhunderts. Da die Wälder nahezu abgeholzt waren, konnten die Öfen nicht mehr befeuert werden, die Glashütten wurden aufgegeben. Die Glas- und Eisenherstellung hatte sich in andere Zentren verlagert, nachdem man mit Stein- und Braunkohle vom Holz als Energielieferant unabhängig geworden war. Die Bevölkerung versuchte, mit alternativen Fertigkeiten über die Runden zu kommen. Doch reichten Schwerspat-Abbau und Pottaschen-Siederei in Silberhof und der Handel mit Krug- und Holzwaren in Rothenrain neben der mageren Landwirtschaft nicht aus. Immer mehr Rhöner verließen ab Beginn des 18. Jahrhunderts ihre Heimat Richtung Ungarn oder Nordamerika.

Orte müssen weichen

Nachkommen der Bewohner, die ihrer Heimat treu geblieben waren, befanden sich ab 1936 mit der Reichsumsiedelungsgesellschaft in Entschädigungsverhandlungen. Für den Truppenübungsplatz mussten die Orte weichen. Viele verließen lange vor dem Stichtag des 1.April 1938 ihre Heimat, manche gingen erst, als sie befriedigende Summen für ihr Haus ausgehandelt hatten.

Von einzelnen Bewohnern ist aus den Geschichtsaufzeichnungen bekannt, dass sie lieber den Freitod suchten, als ihre Heimat zu verlassen.

Historie Zwischen 1936 und 1938 verließen viele Menschen ihre Dörfer (Zahlen aus dem Buch "Unvergessene Heimat rund ums Dammersfeld", Stand von 1931): Werberg mit Auersberg (284), Reußendorf mit Silberhof (412), Rothenrain mit Disbachhof und -mühle (197), Altglashütten mit Dammersfeld und Harfenmühle (237), Neuglashütten (122), Dörrenberg (47), Dalherda (450), Kippelbach (170).

Geschichtskreis Der Geschichtskreis entstand aus dem Arbeitskreis zur Erstellung des Oberleichtersbacher Heimatbuches. Nach den Festtagen 2012 gründeten die Geschichtsinteressierten den Geschichtskreis. Regelmäßig bieten die Mitglieder die Möglichkeit zu Führungen, Vorträgen und Unternehmungen zur Geschichte des Altlandkreises an. So findet am Samstag, 15. August, von 16.30 bis 18 Uhr ein historischer Stadtrundgang durch Hammelburg statt. Interessierte können sich bei Josef Heil, dem Initiator des Arbeits- und Geschichtskreises, melden, Tel.: 09741/ 1515 oder 09732/ 904 161.