Druckartikel: Aus Goethes Laboratorium der Liebe

Aus Goethes Laboratorium der Liebe


Autor: Thomas Ahnert

Maßbach, Mittwoch, 07. November 2012

Im Intimen Theater des Fränkischen Theaters Schloss Maßbach hat Rolf Heiermann seine Dramatisierung des Romans "Die Wahlverwandtschaften inszeniert. Er thematisiert die Liebe zwischen Leidenschaft und Chemie.
Eigentlich gehört die Hand nicht auf diese Schulter und der Fuß nicht an diese Hand: Es sind die ersten Bewegungen und Blicke, die den allmählichen Beziehungswandel andeuten und ihm den Weg bereiten. Das Bild zeigt (v. l.) Sandra Lava als Charlotte, Andreas Armand Aelter als Eduards Freund Otto, Rolf Kindermann  als Baron Eduard und Katharian Försch als Charlottes Nichte Ottilie.  Foto: Sebastian Worch


Der Roman "Die Wahlverwandtschaften" ist nicht Goethes erste Auseinandersetzung mit Fragen der Gefühlslenkung - man denke etwa an das Theaterstück "Stella". Aber was hier noch eine Dreierbeziehung ist, ist in den "Wahlverwandtschaften" zum Quartett erweitert: Baron Eduard und seine Frau Charlotte, ein Ehepaar in beinahe besten Jahren, lädt zwei Gäste ins Haus: er seinen Jugendfreund Otto, sie ihre junge Nichte Ottilie.

Für den naturwissenschaftlich denkenden Goethe ist das eine Versuchsanordnung - denn unter Wahlverwandschaften verstand er keine familiären Beziehungsfragen, sondern chemische Reaktionen: Welche Verbindungen orientieren sich neu, wenn sie aufeinanderstoßen? Oder: Inwieweit ist Liebe überhaupt eine Frage der beherrschten Gefühlsteuerung und nicht der körpereigenen Chemie? Ist Liebe Wille oder Naturgesetz?
Rolf Heiermann, der inszeniert hat, hat auch die Dramatisierung der Romanvorlage übernommen.

Es ist ihm letztlich gut gelungen, aber man merkt dem Ergebnis auch an, dass es kein einfaches Unterfangen war. Denn wer einen kompletten Roman auf eine Spielzeit von nicht einmal zwei Stunden eindampfen und umarbeiten will, muss außerordentlich opferbereit sein, muss sich von vielem verabschieden. Natürlich verschwanden dadurch alle nicht unbedingt notwendigen Nebenhandlungsstränge. Aber auch die Veränderungen in den Beziehungen, sozusagen das Wirken der Chemie, verloren an Gewicht und Schlüssigkeit. Das Ergebnis geriet in den Vordergrund.

Andererseits ist es Heiermann aber auch gelungen, die Umgebung, in der diese Wahlverwandschaften ihr Wesen treiben. sehr deutlich werden zu lassen: einerseits das durchaus zeittypische Bemühen, im Sinne der Aufklärung eine zumindest landschaftlich ideale Welt zu schaffen, Umgebung nach eigenen Vorstellungen und Wünschen zu formen, dann aber auch zu erleben, dass sich die Natur nicht so ohne weiteres in eine bestimmte Form bringen lässt. Da entsteht ein Paradies, dem der überraschende Tod - von Menschen und Wünschen - doch nicht fremd ist.


Das Schauspielerquartett liefert eine ausgezeichnete Arbeit ab

Die Verknappung der Entwicklung ist in doppelter Hinsicht verschmerzbar. Zum einen kann deas Publikum problemlos die Lücken mit Erfahrungen der eigenen Lebenswelt füllen. Oder anders gesagt: Man weiß auch so, wenn vielleicht auch eher aus der Goethe fernen Boulevard-Komödie, wie der Hase läuft. Zum anderen liefert das Schauspielerquartett eine ausgezeichnete Arbeit ab: Rolf Kindermann als Baron Eduard, Sandra Lava als dessen Gemahlin Charlotte, Andreas Armand Aelter als Architekt und Eduards Freund Otto und Katharian Försch als Charlottes Nichte Ottilie treffen genau die Doppelbödigkeit des Werkes: einerseits hoch emotional in der unmittelbaren Begegnung mit den anderen, andererseits auch kühl- distanziert, darstellend, sodass der wissenschaftlich-experimentelle Laboratoriumscharakter des Stückes ausgezeichnet zum Tragen kommt. Wobei dieser Eindruck durch Peter Piccianis nüchterne Guckkastenbühne und Daniela Zeppers figurentypischen Kostüme, die die damaligen Idealvorstellungen des Landlebens geschickt andeuten, sehr gut verstärkt wird.

Und gerade deshalb, weil in der klaren, präzisen Spielweise die Gebundenheit des Stückes an die Zeit und Goethes ins Wissenschaftliche reichenden Interessen so deutlich wird, ist Heiermanns Schluss und Ausgang eigentlich ein bisschen daneben. Denn bei ihm stirbt niemand. Es bleiben noch genügend Türen offen. Natürlich ist der Tod von Ottilie und Eduard, den sich niemand wünscht, aus heutiger Sicht gesellschaftlich nicht notwendig (und das war er damals auch nicht). Aber damit wird Goethes tragischem Konzept der Unerbittlichkeit die Spitze abgebrochen, wird in seinem Ausgang beliebig. Aber letztlich hebelt Heiermann damit ja nur die Beziehungschemie aus.