Druckartikel: Auch von Chopin gab's Coverversionen

Auch von Chopin gab's Coverversionen


Autor: Thomas Ahnert

Bad Kissingen, Freitag, 04. Juli 2014

Eine Überraschung: Wolfgang Brunner und Team zeigten den Polen in Paris von einer anderen Seite.
Eine Situation wie in den Pariser Salons, als Chopin noch selbst am Flügel saß: Anna Lucia Richter, Olivia Vermeulen, Karol Kozlowski und Andreas Schmidt warten auf ihren Einsatz, während Wolfgang Brunner auf dem Hammerflügel eine Mazurka spielt. Foto: Ahnert


Bad Kissingen — Sogar im 29. Kissinger Sommer kann man noch Überraschungen erleben. "Late Night à la Chopin" hieß vielsagend das Konzert im Kaisersaal des Hotels Kaiserhof Victoria. Eine Klaviernacht würde es nicht werden, denn neben dem Pianisten Wolfgang Brunner waren auch vier Sängerinnen und Sänger angekündigt. Dabei hat Frédéric Chopin nur 20 Lieder komponiert.
Die Auflösung brachte gleich mehrere Überraschungen.

Zum einen ist der Kaisersaal ein akustisch ausgezeichneter Konzertraum: Die Dämpfung durch den dicken Teppichboden wird durch große, auch den Schall reflektierende Spiegelflächen neutralisiert - eine optimale Mischung. Der Saal bot - auch wenn die Wandpaneele reiner Jugendstil sind - genau das Ambiente, in dem sich Chopin in Paris bewegt hat; nur war die Damen- und Herrenmode damals halt anders.

Überraschendes Programm

Aber die große Überraschung war das Programm. Gut, die vier Lieder von "Wiosna" über "Wojak" und "Perscien" bis "Moja pieszczotka", die Chopin selber komponiert hat, kannte man. Allerdings nutzte der Tenor Karol Kozlowski seinen phonetischen Heimvorteil als Muttersprachler und hatte den Kopf und die Stimme frei für eine wunderbar lockere, aber dennoch markant emotionale Interpretation. Wolfgang Brunner hatte einen Hammerflügel mitgebracht - auch das eine Reverenz an die Chopinzeit - und schuf ein wesentlich intimeres, aber trotzdem markant strukturierendes Begleitklima.

Bekannt-unbekannter Chopin

Aber dann kam ein Chopin, den man kannte und doch nicht kannte. Da spielte Wolfgang Brunner Mazurken, vor allem Mazurken, auch ein Nocturne oder eine Etüde, aber plötzlich hatte die Musik auch einen Text.
Da war man plötzlich drin in der Mode des 19. Jahrhunderts, populäre Musik zu vertexten, das anzufertigen, was man auf Neudeutsch heute Coverversion nennt. Pauline Viardot, die 13 Jahre jüngere Schwester von Maria Malibran, war da am frühesten und am dichtesten an Chopin dran. Die meisten ihrer "Lieder und Duette nach Chopin, denen sie Gedichte des damals in Paris populären Salondichters Louis Pomey unterlegt hat, hat der Komponist noch selbst gehört und autorisiert.
Etwa 30 Jahre später arrangierte der Italiener Luigi Bordese, der sich in Paris niedergelassen hatte, einige Duette, bevorzugt mit Texten des Trivialromanciers Emile Richebourg.

Von Liebe und Leidenschaft

Natürlich ging es in fast allen Texten - wie könnte es anders sein - und Liebe und Leidenschaft, um Eifersucht und Schönheit, um eine Schlittenfahrt auf dünnem Eis und um eine "fille blonde", eine blonde Fee, eine "Gegenloreley", die, in einem Boot sitzend, am Ufer vorbeischaukelt und die Männer betört (es kommt aber keiner zu Tode). Da waren Klischees erlaubt und auch immer wieder mal ein bisschen Kitsch.
Es war interessant, wie die vier Interpreten mit diesem Material umgingen. Anna Lucia Richter (Sopran) und Olivia Vermeulen (Mezzosopran), die beiden Frauen, genossen die Übersteigerungen der Texte, betonten die Spitzen, zogen sie in die Länge, amüsierten sich über die Darstellungen ihres eigenen Geschlechts und gaben sich in den Duetten durchaus auch als Rivalinnen.
Das trauten sich die beiden Männer nicht so ohne weiteres. Sie sangen nicht weniger leidenschaftlich, aber nahmen die Schmonzetten in ihren Texten ernster, zielten ein bisschen mehr auf die Inhalte als auf die Leidenschaft.

Mazurken à la mode

Interessant waren auch zwei Mazurken, die Wolfgang Brunner pur, ohne Gesang spielte. Nicht nur, weil man merkte, wo Pauline Viardot ihre Quellen hatte, sondern auch, weil Brunner sie à la mode spielte. Damals war es noch erlaubt, wie in der Barockzeit und Klassik, die Notentexte zu verzieren.
Wirklich ungewöhnlich und am Ende immer noch überraschend war die Zugabe. Wolfgang Brunner hatte ein zweistimmiges Gnadengebet von Louis Durdilly auf die Musik des berühmten Trauermarschs aus der b-moll-Sonate für vier Stimmen arrangiert, und die vier Sänger zogen singen aus den Ecken des Saales zum Flügel und wieder zurück. Ein kraftvolles Klanggemälde. Und der mitschneidende Bayerische Rundfunk hat mit diesem Konzert eine echte Praline in seinem Archiv.